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Türkei schneidet Kurden Fluchtweg nach Italien ab

■ Ankara kritisiert europäische Asylpolitik: Wer Kurden aufnehme, ermuntere sie erst zur Flucht. Rom und Bonn fordern schärfere Grenzkontrollen

Istanbul (taz) – Nach dem Exodus von überwiegend kurdischen Flüchtlingen nach Italien gibt es erneut Streit über die türkische Kurdenpolitik und das Schengener Abkommen. Rom, Ankara und Bonn beschuldigten sich gestern gegenseitig und stritten über Maßnahmen, um den „Flüchtlingsstrom“ zu stoppen. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) warf Italien vor, seine Außengrenzen nicht genügend zu sichern. Sein römischer Kollege Giorgio Napolitano forderte die Türkei auf, sie müsse ihre Häfen besser kontrollieren. Ankara dagegen meinte, wer kurdischen Flüchtlingen Asyl gewähre, heize das Problem nur weiter an. Am Donnerstag hatte ein zweites Schiff mit diesmal 386 Menschen – darunter 230 Kurden – die italienische Küste von Otranto erreicht. Die anderen Flüchtlinge kommen aus Bangladesch, Pakistan und Algerien. Sie gaben an, in der Nähe von Istanbul auf das Schiff gegangen zu sein.

Während Menschenrechtsorganisationen davor warnten, die Kurden in die Türkei zurückzuschicken, soll in der nächsten Woche eine aus italienischen und türkischen Experten gebildete Arbeitsgruppe an einem Abkommen arbeiten, das die Rückführung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ gestattet. Auch Angehörige anderer Staaten, die über die Türkei in die EU- Länder kommen, sollen wieder in die Türkei zurückgeschickt werden können.

Die türkische Regierung macht für den Exodus der Kurden die PKK verantwortlich, die durch illegalen Menschenhandel große finanzielle Gewinne erziele. Eine Hinterfragung der eigenen Kurdenpolitik stehe nicht zur Diskussion.

Auf Wunsch Italiens hat die Türkei die Kontrollen an ihren Küsten verschärft – die Ausreise von Flüchtlingsschiffen soll schon im Vorfeld gestoppt werden. Damit gibt Ankara dem scharfen Protest seitens der EU nach, um die ohnehin belasteten Beziehungen nicht weiter zu strapazieren, wie aus Außenministeriumskreisen verlautete. Die Yilmaz-Regierung befürchtet, mit Italien einen wichtigen Verbündeten zu verlieren. Rom hat der Türkei seine Unterstützung auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in der EU zugesagt.

Die Flüchtlinge sorgten auch innerhalb der EU für heftige Turbulenzen. Bundesinnenminister Kanther forderte Italien auf, die Maßnahmen zur Sicherung seiner Grenzen zu verschärfen. Rom müsse dafür sorgen, daß das Schengener Abkommen eingehalten werde, sagte Kanther gestern im Deutschlandfunk: „Illegale, die nicht in Italien oder Griechenland ins Netz gehen, drängen ins übrige Europa.“ Die italienische Regierung gab bekannt, daß seit September etwa 2.000 Kurden die Adriaküste erreichten. Insgesamt habe Italien 1997 rund 38.500 „illegale Einwanderer“ zurückgeschickt.

Der Europa-Experte von Pro Asyl, Herbert Neuninger, sagte, in der Türkei und auch im Irak seien die kurdischen Flüchtlinge „an Leib und Seele bedroht“. Sie verdienten daher den direkten Schutz Italiens. Pro Asyl forderte die EU auf, sich auf einen Mechanismus der Verteilung der Flüchtlinge zu einigen.

Die türkische Öffentlichkeit registriert den Exodus der Kurden nur beiläufig. Kommentatoren der großen Tageszeitungen und des Privatfernsehens machen die „Menschenhändler“ und die PKK direkt dafür verantwortlich. Die offiziellen Verlautbarungen aus Ankara, daß die Flüchtlinge durch die „großzügige und blauäugige Asylpolitik der Europäer ermutigt worden“ seien, findet breite Zustimmung.

Die Geschichte des kurdischen Paares Bahiye und Cemal aus dem nordirakischen Zaho belegt die verzweifelte Situation der kurdischen Familien. Wie sie türkischen Journalisten erzählten, haben sie ihre Heimat vor einem Monat verlassen. Sofort nach Überschreitung der türkischen Grenze wurden sie inhaftiert und verbrachten sechs Tage im Gefängnis, weil das irakische Zaho als eine der Hochburgen der PKK bekannt ist. Nach ihrer Freilassung machte sich die Familie auf den Weg nach Istanbul, wo sie sich 24 Tage in einem kleinen Zimmer versteckte. Eines Nachts kamen Schleuser und brachten die Familie auf das Schiff, das sie nach Italien bringen sollte. „Unsere einzige Hoffnung war, zu unserem Cousin Hüsnü in Deutschland zu gelangen.“ Hüsnü zahlte den Mittelsmännern in Deutschland 3.500 Dollar pro Person, um seine Verwandten aus dem Nordirak zu retten.

Dilek Zaptçioglu

Kommentar Seite 12

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