Ein neuer Minister „in delikater Mission“

Als neuer mexikanischer Innenminister soll sich der Ökonom Francisco Ochoa besonders um „das Thema Chiapas“ kümmern. Sein Vorgänger stürzte über das Flüchtlings-Massaker von Acteal  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Der Minister verabschiedete sich schnell und überraschend. Aus „persönlichen Gründen“ habe Emilio Chuayffet um seinen Rücktritt gebeten, ließ Präsident Zedillo am Samstag mittag in einer Ansprache an die Nation verlauten – und ernannte gleich einen Nachfolger. Neuer mexikanischer Innenminister ist Francisco Labastida Ochoa, der bisherige Landwirtschaftsminister. Er soll sich in seiner „delikaten“ Mission außer um die Staatsreform und die öffentlicher Sicherheit auch um „das Thema Chiapas“ kümmern.

Eben darüber dürfte Emilio Chuayffet, der vierte Innenminister seit Ausbruch des sogenannten Chiapas-Konflikts vor vier Jahren, vornehmlich gestolpert sein. Genauer: über das Massaker im Flüchtlingslager von Acteal, einer kleinen Tzotzil-Gemeinde im chiapanekischen Hochland. Dort waren vor zwei Wochen 46 Menschen von schwerbewaffneten Paramilitärs regelrecht hingerichtet worden. Viele Opfer waren Mitglieder der zivilen zapatistischen Basisgruppe „Die Bienen“. Als mutmaßliche Täter wurden 49 Tzotzil-Indianer verhaftet, darunter auch der Bürgermeister der Gemeindehauptstadt Chenalh. Er soll die Banden mit Waffen versorgt haben. Doch Bundesstaatsanwalt Jorge Madrazo will auch die politisch Verantwortlichen ermitteln. Denn trotz telefonischer Hinweise auf den bevorstehenden Überfall war der Landesinnenminister untätig geblieben, nur wenige hundert Meter von Acteal entfernt stationierte Polizisten waren nicht eingeschritten, und Sicherheitskräfte sollen das Massaker sogar mitvertuscht haben.

Der Rücktritt Chuayffets war von VertreterInnen der Oppositionsparteien seit Tagen gefordert worden, doch der Innenminister hatte stets jede Mitverantwortung von sich gewiesen. Seinen Abgang wertete die rechtsliberale PAN nun als „Zeichen politischer Sensibilität“. Die linke PRD bezeichnete ihn als „unerläßlichen Schritt“ für eine Entspannung, forderte aber den Rücktritt der ganzen chiapanekischen Landesregierung. Unterdessen spitzt sich die Chiapas-Krise weiter zu. Nach Recherchen der Tageszeitung La Jornada leben mittlerweile rund 8.000 vertriebene Tzotziles in improvisierten Flüchtlingslagern. Hilfskarawanen von PRI-Anhängern sind in Chenalh gewaltsam blockiert und angegriffen worden, berichtet ein Sprecher der Diozöse. Reporter und Menschenrechtler sprechen von „ungewöhnlichen Truppenbewegungen“ in den vergangenen Tagen: Armee-Einheiten rücken in „strategische Positionen“ rund um den Lacandonenwald vor, besonders in den Gemeinden Ocosingo und Altamirano, die als die wichtigsten zapatistischen Einflußgebiete gelten. Dort sollen die Militärs gegen vermeintliche Verstöße gegen das „Bundeswaffengesetz“ vorgehen.

Seit Emilio Chuayffet die strikte Entwaffnung „aller bewaffneten Gruppen“ in der Region angeordnet hat (eine seiner letzten Amtshandlungen), präsentiert das Militär der Öffentlichkeit jeden Tag ein paar kleine Waffenarsenale, auf die man bei den Streifzügen durch das Konfliktgebiet gestoßen sei. Nach Informationen der Diozöse soll die Armee am Samstag sogar vorübergehend die Ortschaft La Realidad, einen der wichtigsten Stützpunkte der EZLN, besetzt haben. Dies wurde von der Armeeführung jedoch „kategorisch“ dementiert.

Der frischdesignierte Innenminister Ochoa versprach nun „tolerante“ Lösungen für die die „offenen Wunden“ von Chiapas. Wie diese Lösungen aussehen sollen, erklärte der 56jährige Ökonom bei seinem ersten Auftritt vor der Presse nicht. Die zapatistische Rebellenorganisation EZLN hat hingegen konkrete Vorstellungen. Als Bedingungen für die Wiederaufnahme des seit 15 Monaten suspendierten Dialogs nennt sie die sofortige Auflösung der Paramilitärs und des Belagerungsrings um die zapatistischen Flüchtlingslager. Außerdem fordert sie die Aufklärung des Massakers von Acteal und eine Gesetzesinitiative über Rechte der indigenen Bevölkerung, wie sie schon einmal erarbeitet wurde, aber am präsidialen Veto scheiterte.