■ Mit der Telefonmuschel auf du und du
: Kein Anschluß

Berlin (taz) – Über die Hälfte der Menschheit hat noch nie telefoniert, hat noch nie im Leben die Stimme aus der Muschel vernommen. Ob in den Barriadas von Lima, den Slums von Kalkutta oder den Steppen Ostafrikas – für 80 Prozent der Menschheit, vorwiegend im globalen Süden, gilt: Kein Anschluß unter dieser Nummer!

Dreiviertel aller Telefone weltweit sind in den Industrieländern installiert. Während in den USA auf 100 Einwohner 57 Anschlüsse und in Schweden sogar 68 kommen, sind es es Indien und China nur zwei. Die Weltbank hat klargestellt, daß alle Länder wirtschaftlich abgehängt werden, die ihre Telefonnetze nicht modernisieren können. In Ghana etwa geht die Hälfte der Arbeitzeit kleiner Firmen verloren, weil weder Fax, Telefon noch Telex vorhanden ist, berichtet das National Board for Small Scale Industires in Accra.

Immerhin klingt der jüngste Weltbank-Bericht hoffnungsvoll: Der Markt für Telekommunikation in den Entwicklungsländern wächst rasant. Dort werden 14 Prozent mehr Hauptleitungen gelegt als noch Anfang der Neunziger – viermal soviel wie im Norden. Über 300 Milliarden Dollar wird für Telekommunikation in der Asiatisch-Pazifische Region bis 2002 investieren werden, prognostiziert das Londoner Panos Institut. Kann die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte vom 1. Januar 1998, an der sich 69 Länder beteiligen, einen Versorgungsschub rund um den Äquator auslösen? Zwar gibt es heute in São Paulo schon mehr Handybenutzer als in Paris. Und Boomstaaten wie Malaysia bauen eigene moderne Telekommunikationsindustrien auf. Doch ist auch der vielgepriesene Mobilfunk für ländliche Gebiete und arme Flächenstaaten kein Allheilmittel. Die Grameen Bank in Bangladesch zum Beispiel vergibt Kleinkredite an Existenzgründer, die mit Mobiltelefonen öffentliche Fernsprecher schaffen – doch die Schnurlosen kosten oft ein ganzes Jahresgehalt oder mehr. Allerdings, wo die Vernetzung gelingt, verbessern beispielsweise Kleinbauern ihre Verdienstchancen: Kokosfarmer in Sri Lanka fragen jetzt per Telefon die Martkpreise in der Hauptstadt Colombo ab – so können die Zwischenhändlern sie nicht mehr übervorteilen.

Für die Regierungen der Entwicklungsländer wird es darauf ankommen, das Rosinenpicken zu verhindern. Sie müssen darauf achten, daß sich große lizenznehmende Konzerne, wie in Indien geschehen, nicht nur die lukrativen Netze dichtbesiedelter Regionen unter den Nagel reißen, sondern ihre Gewinne auch in den Telekom- Ausbau stecken. 40 Prozent der Einnahmen müßten laut UN für den Netzausbau reeinvestiert werden. Sonst droht eine weitere Vertiefung der Kluft zwischen Nord und Süd, Stadt und Land. Fraglich, ob der „freie“ Weltmarkt das leistet, den inzwischen eine Handvoll strategischer Mega-Allianzen von Telekom-Konzernen aus den USA, der EU und Japan dominieren. Thomas Worm