„EU-Standard auf niedrigstem Niveau“

■ Was folgt auf den deutsch-italienischen Asyl-Streit? Herbert Leuninger von Pro Asyl ist skeptisch

Herbert Leuninger ist Europareferent von Pro Asyl.

taz: Italien betrachtet die kurdischen Flüchtlinge als politisch Verfolgte, Deutschland als illegale Einwanderer, vor denen man die Grenzen verrammeln muß. Wie kommt es zu so unterschiedlichen Kriterien innerhalb der Europäischen Union?

Herbert Leuninger: Das hängt damit zusammen, daß Deutschland sich als das Land betrachtet, das die meisten Flüchtlinge in Europa aufgenommen hat und sich deswegen berechtigt fühlt, eine Abschottungspolitik zu betreiben.

Seit Jahren arbeiten die europäischen Staaten an der Harmonisierung des Asylrechts. Gibt es bisher denn keinerlei gemeinsame Standards?

Es gibt als gemeinsame Grundlage natürlich die Genfer Flüchtlingskonvention, doch mittlerweile herrscht darüber ein solcher Interpretationsspielraum, daß wir froh sein müssen, daß sich die deutschen Vorstellungen in Europa nicht durchsetzen. Es gibt aber inzwischen etliche Gemeinsamkeiten, vor allem die Dubliner Konvention, die im September letzten Jahres in Kraft getreten ist. Nach Artikel 9 der Dubliner Konvention könnte Italien die anderen Staaten ersuchen, aus humanitären und familiären Gründen kurdische Flüchtlinge zu übernehmen. Aber an diese Konvention erinnert man sich nicht gern in Deutschland.

Übrigens: wenn die kurdischen Flüchtlinge in Italien als asylberechtigt anerkannt werden, könnten sie sich innerhalb der EU frei bewegen, allerdings dürften sie nicht in einem anderen Land ihren Wohnsitz wählen oder arbeiten.

Für die Einführung des Euro hat sich die EU einen Stichtag gesetzt. Gibt es einen solchen Stichtag auch für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik?

Ja, es gibt den Amsterdamer Vertrag, der in zwei Jahren ratifiziert sein soll. Der Vertrag sieht eine Übergangsperiode von fünf Jahren vor, in denen eine gemeinsame Asylpolitik formuliert sein soll – das umfaßt die Zuständigkeit für Asylanträge und die Kriterien der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und illegal Einreisenden. Bei den dazu vorliegenden Entwürfen zeichnet sich allerdings die Tendenz ab, daß der unterste politische und humanitäre Standard der gemeinsame sein wird.

Als die Bundesrepublik mehrere hunderttausend Flüchtlinge aus Exjugoslawien aufgenommen hat, haben Länder wie Italien auch nicht gerade mit Hilfsbereitschaft geglänzt.

Das Beispiel Jugoslawien hat gezeigt, daß es um gemeinsame Übernahmeverpflichtungen gehen muß. Das hat gerade die Bundesrepublik immer gefordert, und dahinter kann sie jetzt nicht mehr zurück.

An diesem Punkt hat sich interessanterweise Deutschland nicht durchsetzen können mit seinen Vorschlägen, die Verteilung von Flüchtlingen von der Wirtschaftskraft, Bevölkerungsgröße und dem schon bestehendem Ausländeranteil eines Landes abhängig zu machen. Staaten wie Großbritannien und Großbritannien sind strikt dagegen, weil sie dann wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen müßten. Interview: Vera Gaserow