Zu Besuch auf dem Nischenplatz

■ Wenigstens zu Gunsten von SchriftstellerInnen schmückt sich Bremen mit dem Prädikat „Stadt der Zuflucht“

Wer die jüngsten Fälle Bremer Abschiebepolitik verfolgt hat und trotzdem Bremen eine Stätte der Zuflucht nennt, muß damit rechnen, ein Zyniker genannt zu werden. Zynisch aber ist das Internationale Schriftstellerparlament (ISP) unter der Präsidentschaft von Salman Rushdie diesbezüglich sicher nicht. Dennoch zählt das ISP in Deutschland neben Berlin ausgerechnet Bremen zu „Städten der Zuflucht“. Wie das?

Namhafte SchrifstellerInnen aus aller Welt gründeten 1993 in Straßburg das ISP mit dem erklärten Ziel, den Todesdrohungen gegen Rushdie, der Verfolgung von Taslima Nasrin in ihrer Heimat, dem Anschlag auf Nagib Machfus, den Repressionen gegen Wole Soyinka und gegen andere AutorInnen politisch zu begegnen. In einem Aufruf wandte sich das Parlament an alle Städte der Welt, sich dem Projekt „Städte der Zuflucht“anzuschließen und sich damit bereit zu erklären, politisch verfolgten SchriftstellerInnen für ein Jahr eine Zuflucht zu gewähren.

Der Aufruf verhallte nicht ungehört. Städte in Amerika und Europa traten dem Netzwerk bei, doch sind es noch viel zu wenige. Lange Zeit war Berlin die einzige deutsche Stadt, bis sich 1996 auch Bremen dem Netzwerk anschloß. Eine Entscheidung, die einem zwei Jahre zurückliegenden Ereignis folgte: Im November 1994 hatte Peter von Walter, der damalige Leiter des Goethe-Institutes, sich an das Ressort Kultur und Ausländerintegration gewandt. In einem Brief bat er um Unterstützung für den nigerianischen Schriftsteller Uche Nduka, der als Generalsekretär des nigerianischen Schriftstellerverbandes in seinem Heimatland scharfen Repressionen ausgesetzt war. Dank der Kooperation zwischen der Heinrich-Böll-Stiftung, der Universität Bremen und dem Referat für Ausländerintegration konnte geholfen werden.

Dieser Fall verdeutlichte allen beteiligten Einrichtungen aber auch, daß dem strukturellen Problem der Verfolgung von SchriftstellerInnen nicht mit spontan organisierter, einmaliger Hilfe beizukommen war. So entschloß sich die Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD), gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung dem Netzwerk „Städte der Zuflucht“beizutreten. Das Angebot einer einjährigen Gewähr auf Zuflucht wurde wegen Geldmangels zu einer Garantie für drei Monate eingeschränkt. „Da es uns darum geht, das wenige, das wir tun können, zu tun, haben wir eine kleine Lösung gefunden“, erklärte Kahrs das Modell.

Während die Heinrich-Böll-Stiftung die Reise- und Lebenskosten des Flüchtlings übernimmt, bezahlt die Stadt über die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung die Miete. Die Universität hat sich verpflichtet, in ihrem Gästehaus eine Wohnung bereitzustellen, das Literatur-Kontor übernimmt die persönliche Betreuung des Schriftstellers in seinem neuen Alltag. Dabei bestimmt allein er, inwieweit er überhaupt in die Öffentlichkeit treten will, denn ihm, nicht seiner Vermarktung, gilt das Hauptinteresse. Falls er (oder sie) jedoch am Zufluchtsort „auftauchen“will, hilft das Literaturkontor bei der Organisation von Lesungen oder der Herstellung von Kontakten zu Verlagen.

Schon bald nachdem Bremen dem Netzwerk beigetreten war, erreichte die OrganisatorInnen vor Ort die Nachricht, daß der iranische Schriftsteller Huschang Golschiri umgehend sein Land verlassen müsse. Bereits Mitte der achtziger Jahre war Golschiri, durch Kurzgeschichten und Romane weltweit bekannt, sein Lehrauftrag für Persische Literatur an der Universität Isfahan entzogen worden. Der politische Druck gegen ihn verschärfte sich, bis es Mitte der 90er kein Verleger im Iran mehr wagte, Golschiris Texte der Zensurbehörde vorzulegen. Nachdem er gemeinsam mit seinem Freund Faradsch Sarkuhi sowie weiteren Kollegen als Sprecher der „Liste 134“eine Petition an das iranische Regime formuliert hatte, in der die Abschaffung der Zensur gefordert wurde, die Beendigung der Repressionen gegen die Intellektuellen sowie die Erneuerung des iranischen Schriftstellerverbandes, blieb dem 60jährigen Autor, wollte er überleben, nur noch die Flucht.

Das ISP bat die Stadt Bremen, den angebotenen Platz freizuhalten. Doch Huschang Golschiri kam nicht. Zweimal wurde er an der Ausreise aus dem Iran gehindert. Erst im April 1997 gelang ihm gemeinsam mit seiner Familie die Flucht nach Deutschland. Er verbrachte die ersten Monate unter dem direkten Schutz der Heinrich-Böll-Stiftung, bevor er im August nach Bremen kam. Ende September trat er mit einem eindrucksvollen Vortrag an die Bremer Öffentlichkeit. Mit ungebrochenem Mut kritisierte er die Zensur in seinem Heimatland. Die, so Golschiri, stammt aus dem Irrglauben der islamischen Kultur, derzufolge das Wort an sich bereits eine neue Realität schaffe, ja, gleichbedeutend mit dieser sei. Die vom Schriftsteller oder seinen Protagonisten entworfene fiktionale Realität kann folglich nur vollkommen der heiligen Welt entsprechen oder eben der unheiligen, der ketzerischen oder satanischen. Die Verwechslung von Fiktion und Realität gebiert so ein geschlossenes Denksystem, das Kritik von vornherein ausschließt.

Die Angst des Islam vor seinen Dichtern ist groß. „Tod, Entehrung und islamische Strafen waren noch die glimpflichsten der direkten Antworten auf das Schreiben“, resumierte Golschiri und mahnte, er, der Autor, dem nichts heiliger ist als das Wort, seine islamischen ZuhörerInnen in Bremen: „Wir müssen begreifen, daß sagen nicht gleich werden ist“.

Im Dezember reiste Golschiri – „ich bin kein Exilautor“– wieder zurück in seine Heimat, wo der Druck auf die SchriftstellerInnen seit dem Regierungswechsel unter der neuen Führung von Chatimis zwar nachgelassen hat, die politische Lage aber nach wie vor unklar ist. Ohne das Einschreiten des ISP, ohne das Netzwerk „Städte der Zuflucht“hätte er die alte Regierung vielleicht nicht überlebt. Daß es gelungen ist, darauf kann Bremen stolz sein. Doch sollten sich auch die BürgerInnen der Hansestadt Golschiris Worte zu Herzen nehmen. Eine „Stätte der Zuflucht“wird Bremen nicht durch die bloße Bezeichnung. Dora Hartmann