Gutachten zum Wahljahr

■ Krisenbewältigung: Wirtschaftsforscher fordern höhere Löhne

Sinkende Reallöhne und steigende Steuern belasten die Arbeitnehmer. Die Kaufkraft der Bevölkerung nimmt ab, und die Konjunktur lahmt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) konstatiert in seiner Jahresprognose 1998 das, was es immer feststellt – es fehlt an Inlandsnachfrage. Als Ausweg aus der von der jetzigen Regierung zu verantwortenden Krise empfiehlt es folglich wie immer: Der Staat soll auch bei sinkenden Einnahmen mehr investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem müßten die Löhne im Westen um vier Prozent steigen.

Nun können die Berliner Wirtschaftsforscher nichts für die Fehlleistungen der Bonner Regierung. Aber ein wenig ranzig und theoriebeladen sind die Ideen einer antizyklischen Konjunkturpolitik des DIW schon. Sie fügen sich allerdings optimal in die wirtschaftspolitischen Überlegungen des SPD-Kandidaten für das Kanzleramt, Oskar Lafontaine, ein. Kein Wunder, DIW-Konjunkturforscher Heiner Flassbeck ist der Wirtschaftsberater Lafontaines. Das Wahljahr ist eben eröffnet. Und so üben sich nicht mehr nur Politiker in Klientelpolitik, nein, auch die Klientel versucht sich in Politik.

Olaf Henkel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, erinnerte die Bundesregierung jüngst daran, sich nicht zu sicher zu wähnen. Sie brauche sich nicht einzubilden, die Unterstützung der deutschen Unternehmer gepachtet zu haben. Damit es denen besser gehe, müßten sie weiter von sozialen Pflichtabgaben entlastet werden. Das jedoch sind sie bereits bis zu einem gesellschaftlich kaum noch verantwortbaren Maße. Schon vor Beginn der jüngsten Rezession 1993 schraubte dieselbe Regierung die Sozialabgaben runter und senkte gleichzeitig die Steuersätze für Unternehmensgewinne. Während die Gewinne der Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren stetig stiegen, sanken die von ihnen gezahlten Steuern. Die Gewinne werden jedoch nicht in Produktionsstätten investiert und folglich schon jetzt keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang in Deutschland geschaffen.

Der verbale Schlagabtausch und das Ideologisieren hat nun auch die Praktiker erreicht, jede Hoffnung auf wie auch immer geartete Impulse ist zunichte. Das Wort Reformstau wird Ende 1998 noch einmal neu bewertet werden müssen. Ulrike Fokken

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