Als Genosse Willy einen schlechten Tag hatte ...

...machte Godula Hepper gerade Wahlkampf für ihn. Für sich und die SPD-Frauen kämpfte sie auch – immer unter Männern  ■ Von Andrea Böhm

Parklücken sind tückisch. Mit der linken Hand das Lenkrad kurbeln, mit der rechten sachte auf den Gasknüppel drücken, dann auf den Bremshebel. Rückwärtsgang raus, Vorwärtsgang rein, Einfahrtswinkel korrigieren, wieder kurbeln und Gas geben. „Schon mal in 'nem Auto mit Handbetrieb gesessen?“ fragt sie mit dem Tonfall all jener Autofahrer, die sich im Besitz eines außergewöhnlichen Fahrzeugs wissen. Eines, das ganz tief gelegt ist oder ganz viele PS hat. Oder eben Handbetrieb. Jetzt sitzt sie in ihrem Wohnzimmer in ihrem 60er- Jahre-Sessel, für den viele Leute heute viel Geld ausgeben würden, hat die Hände auf ihren karierten Faltenrock gelegt und wirkt verunsichert. „Wissen Sie, in meinem Leben geht das alles ein bißchen durcheinander.“ So ist das eben, wenn man 1930 geboren wurde, mit 15 ein tausendjähriges Reich in die Brüche gehen sah, wenig später dem real existierenden Sozialismus davonradelte, drei Kinder großzog und nun vom großen Aufbruch der Großmütter träumt.

Dazwischen lagen natürlich noch ein paar Ereignisse – zum Beispiel ein lascher Händedruck vom Genossen Willy, Frauengymnastik mit Hans Jochen Vogel, ein Sturz in den Keller. Und sehr, sehr viele Briefe. Einer liegt auf dem Kaffeetisch, ist an den „lieben Oskar“ adressiert und enthält einen geharnischten Anpfiff, weil der Genosse Lafontaine „dort, wo es gewichtig wird, in der Presse“ nur mit Genossen im Gefolge erscheine. Und weil Herta Däubler- Gmelin beim letzten SPD-Parteitag in Hannover „quotenwidrig“ aus dem geschäftsführenden Vorstand gekippt wurde. Es grüßt solidarisch, aber ungehalten der Unterbezirk Celle der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Vorsitzende Godula Hepper.

Mit zwei Fingern fischt sie aus einem Papierstapel auf dem Sofa das Grundsatzprogramm der SPD von 1989 hervor. Seite 19, erste Spalte, zweiter Absatz: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden.“ So steht es geschrieben. So, sagt Godula Hepper und klingt dabei, als hätte sie vor Jahren zu aller Überraschung eine Goldmedaille gewonnen, „haben wir das damals durchgekriegt“.

Um ein wenig Ordnung in ihr Leben zu bringen: Es war Willy Brandt und die „Willy wählen“- Euphorie, die sie Anfang der 70er Jahre in die Partei geholt haben – obwohl sie eigentlich nie mehr mit dem Wort „Genossin“ angeredet werden wollte. Aus der DDR hatte sie sich zwanzig Jahre zuvor abgesetzt, war an einem Ostertag 1953 mit ihrem Verlobten auf dem Fahrrad von Potsdam über die Glienicker Brücke nach West-Berlin gefahren. Einziges Reisegepäck: Die Papiere und der Ratschlag ihrer Mutter, einer gebürtigen Lettin: „Haut bloß ab.“

Ihre Eltern mit den fünf Kindern waren 1945 nicht mit den Flüchtlingstrecks weiter nach Westen gezogen, obwohl es von Rabensteinfeld, einem kleinen Dorf bei Schwerin, nicht weit gewesen wäre. Zum Landrat hatte es der Vater hier unter den Nazis gebracht, war als ehemaliges Mitglied des „Stahlhelm“ von den Ideen und Idealen, die später seine Tochter in die Politik treiben sollten, denkbar weit entfernt. Erst kurz vor Kriegsende wagte er Widerspruch, weigerte sich, einen Befehl zur sofortigen Erschießung gefangengenommener Flieger des Feindes auszuhängen, mußte untertauchen und wurde später, während der Nürnberger Prozesse, eine Woche festgesetzt und vernommen.

Danach waren Nationalsozialismus und Holocaust kein Thema mehr. In der Schule „hieß es schnell: Das waren ein paar Nazis und die im Westen“. Und zu Hause „war der Alltag anstrengend genug“. Sie und ihre Geschwister schlossen sich den Studentengemeinden an, was wiederum die Geheimpolizei auf den Plan rief: Das Elternhaus wurde tagelang beschattet; kurz vor dem Abitur flog ihr Bruder von der Schule und ging 1949 in den Westen. Vier Jahre später kam Godula Hepper via West-Berlin erst in Hamburg und schließlich in Celle an – und das Leben nahm einen scheinbar ruhigen, stetigen Verlauf im Wirtschaftswunderland BRD.

Heinz – den Vornamen ihres Verlobten und späteren Mannes gibt sie erst auf explizite Nachfrage preis –, Heinz also wurde Lehrer für Deutsch und Englisch am Gymnasium. Godula studierte schneller für das Lehramt an der Grundschule, begann früher zu arbeiten, bekam schnell zwei Kinder – und 2.600 Mark an Rentenansprüchen ausgezahlt. Mutterschaftsurlaub gab es damals nicht, sie mußte aus dem Beamtendienst ausscheiden. Als sie dann – knapp über 40 – wieder als Beamtin in den Schuldienst zurück wollte, zuckte man bedauernd mit den Schultern: Sie war zu alt – und Heinz inzwischen mit der Arbeit verheiratet und von ihr bald geschieden.

Vielleicht ist ihr ein Willy Brandt damals wie ein Geschenk des Himmels erschienen, obwohl sie an den nicht glaubt. Da war endlich ein Spitzenpolitiker, der diese Gesellschaft mit ihrem tollen Bruttosozialprodukt und ihrer enormen Verdrängungsschubkraft mit einer Mischung aus Charisma, Integrität und Mut zur Trauer aufwirbelte. Der Mann für alle jene, die ihre ganz private Rebellion mit der Lektüre von Böll-Romanen zwischen Kindern, Küche und drohender Mittelschichtsdepression begannen. „Brandt hatte ein Gespür für Frauenfragen“, sagt Godula Hepper. Daß er auch ein Gespür für Frauen im außerehelichen Rahmen hatte, „das kriegte man ja nur am Rande mit“. Einmal hat sie ihm die Hand geschüttelt. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Celle. Einen „laschen Händedruck hatte er. Hatte wahrscheinlich 'nen schlechten Tag gehabt.“

Genossin Hepper machte die Ochsentour durch die Parteienhierarchie: Beisitzerin, Schriftführerin, stellvertretende Ortsvorsitzende, Ortsvorsitzende in Celle; dann 13 Jahre SPD-Abgeordnete im Kreistag, dann Mitglied des Stadtrats. Sie lernte ziemlich schnell eine Menge über kleine und große Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Politik: Daß Männer „unheimlich viel reden, um Hierarchien auszuhandeln. Das ist bei denen Daueraufgabe.“ Daß Frauen immer wieder vor Machtpositionen zurückschrecken. Daß Männer für höhere Posten Männer vorschlagen – und Frauen auch. „Ich ertappe mich ja selbst dabei, daß ich Männern manchmal mehr zutraue, bloß weil sie sich besser präsentieren können.“

Aber es ging voran: 1988 hat sie auf dem SPD-Parteitag in Münster die Einführung der Quote mitgefeiert, wonach 40 Prozent aller Gremien bis 1994 und 40 Prozent aller Mandate bis 1998 mit Frauen besetzt sein sollen. Genosse Oskar ist auf einer Bundesfrauenkonferenz schon mal herzhaft ausgelacht worden. Genosse Hans Jochen Vogel gingen in die Annalen der ASF-Geschichte ein, als er bei der kabarettistischen Frauengymnastik mitturnte – und Genossin Hepper beherrscht inzwischen ebenfalls die Kunst, lange zu reden und sich auch bei Atempausen nicht unterbrechen zu lassen.

Vor der endgültigen Überwindung der männlichen Gesellschaft oder auch nur der Erfüllung ihres Traums von Heide Simonis als Kanzlerkandidatin sind aber noch ein paar Hürden zu nehmen. 35 Prozent der SPD-Bundestagsabgeordneten sind inzwischen Frauen, in vielen Parteigremien ist die Quote längst erfüllt, doch die Machtpositionen sind weiterhin in Männerhand. „Frauen ist der Weg in die erste Reihe nach wie vor weitgehend versperrt“, heißt es im Gleichstellungsbericht.

Passend zu diesem Resümee bot sich auf dem Hannoveraner Parteitag ein wenig erhebendes Schauspiel, als bei den Wahlen zum geschäftsführenden Vorstand die Genossen Lafontaine, Rau, Scharping und Thierse wie eine kleine Pascha-Karawane durchgewunken wurden, die Frauen aber gegeneinander antreten mußten: Herta Däubler-Gmelin verlor erst gegen Renate Schmidt, dann gegen Heidi Wieczorek-Zeul. Das, sagt Godula Hepper, sei bitter. „Was die Frau alles geleistet hat.“ Es hapere, sagt sie, eben auch an der Koalition zwischen den Generationen. Die Jungen, die Töchtergeneration, hineingewachsen in Wohlstand und die emanzipatorischen Etappensiege ihrer Mütter, „glauben heute, daß erfolgreiche Frauen alles alleine schaffen“. Quotenregelungen seien ihnen suspekt, Erziehungsurlaub hielten sie für ein Naturgesetz. „Als ob wir nicht alles Schritt für Schritt erkämpft hätten.“

Schritt für Schritt stapft sie auf ihren Krücken vom Wohnzimmer hinaus zur Garage. 1980 ist sie die Kellertreppe hinuntergefallen. Die Ärzte sind bis heute zu keiner Diagnose gekommen und können nur bestätigen, daß sich über die Jahre ein erheblicher Muskelschwund erst am linken, dann am rechten Bein eingestellt hat. Beim Autofahren mußte sie jedes Mal, wenn sie die Gangschaltung bedienen wollte, das linke Bein hochziehen und den Fuß auf die Kupplung fallen lassen – ein zweifellos unorthodoxer Fahrstil. Vor zwei Jahren hat sie ihren Ford Fiesta dann auf Handbetrieb umrüsten lassen.

So sehr sie eine umweltbewußte Verkehrspolitik schätzt: Die städtischen Busse kommen schon deshalb nicht für sie in Frage, weil sie zum Einsteigen einen kräftigen Schubs von hinten benötigen würde. Frauen aber fühlen sich für solche Hilfe nicht zuständig, und Männer haben Angst, sich dem Vorwurf der sexuellen Belästigung auszusetzen. Die Ärmsten, wie sie's machen, machen sie's falsch.

Godula Hepper ist jetzt 67, hat letztes Jahr ihr Amt im Celler Stadtrat abgebeben. Sie ist jetzt nur noch ASF-Vorsitzende, Mitglied der Gleichstellungskommission, der SPD-Knastgruppe, des Celler Frauenforums, der Medien-AG des Landesfrauenrats, leitet nur noch einen Kurs an der Volkshochschule. Dieses Jahr wird sie sich auf Wahlkampfhilfe konzentrieren, 1999 auf die 50jährige Abiturfeier ihrer Schweriner Klasse, die sie organisiert.

Sie hat immer den Kontakt gehalten, hatte ihre KlassenkameradInnen jedes Jahr bis zum Fall der Mauer besucht, „weil ich immer das Gefühl hatte, die da drüben im Stich gelassen zu haben“. Dann, 1990, haben zumindest einige „da drüben“ sie und ihre geliebte SPD im Stich gelassen, „und uns den Kohl eingebrockt“. Schwamm drüber.

Sie fährt jetzt zum Copy-Shop, muß noch einen Stapel Einladungen an ihre ASF-Frauen verschicken mit Terminen für Infostände, Vorträge und einen Kabarettabend mit anschließendem Tanz. Der findet allerdings ohne sie statt. Denn Leuten beim Tanzen zuzusehen, das hält Godula Hepper nicht aus.