Die Cowboystiefel – viel zu spitz

Auf vielfachen Wunsch heute noch einmal: Grauenhafte Sportarten, mit denen uns das Fernsehen quält (Folge XVIII) – Darts ist nicht so einfach, wie es schlaff und langweilig ist  ■ Von Albert Hefele

Kennen Sie das? Man betritt ein Lokal, sieht sich einmal um und muß sofort auf dem Absatz kehrtmachen? Es gibt Bier, darf geraucht werden und man hat noch mit keinem der Anwesenden einWort gewechselt – trotzdem: Man muß sofort auf dem Absatz kehrtmachen. Warum denn das?

Die Lokale, von denen ich rede, gelten gemeinhin als durchaus „gemütlich“. Strotzend von dunkel gebeiztem Holz, ellenlangen Theken und originellen Sitzgelegenheiten. Wagenräder mit heimeligen Lämpchen sind an die Decke geschmiedet, wändeweise Postkarten von Stammgästen, die in der Welt herumgekommen sind. Viel bunt flackernde Lichter in schrötigen Automatenkisten. Nervös zappelnde Leuchtfischlein in abstrusen Aquarien, aus denen es sanft und stetig summt und blubbert wie in einem vorsintflutlichen Laboratorium. Ein eintöniges, geradezu hypnotisiertes Ritual.

Das Personal, das in diesen Lokalen verkehrt, scheint dann auch auf geheimnisvolle Art und Weise verzaubert zu sein. Wie auf ewig dazu verdammt. Rauch um sich zu blasen und vornehmlich kleine Gläser, angefüllt mit brauner Flüssigkeit zum Munde zu führen. Klebrig sieht das aus, leicht abgestanden, hat was von dem glasigen Schmierfilm auf zu lange liegenden Würstchen oder den Lippenstiftresten auf den Vorderzähnen unachtsamer Damen. Die Gäste solcher Lokale neigen wohl auch dazu, der harten Realität zu entfliehen. Daher all das dunkle, „gemütlich“ gebeizte Holz. Höhle, Mutterleib.

Die Cowboystiefel – viel zu spitz, um bequem zu sein, viel zu hochhackig, um normal in ihnen schreiten zu können. Und die viel zu eng gegürteten, das weithin sichtbare Übergewicht ignorierenden Blue-Jeans-Hosen und Leggings. Der flüchtige Betrachter staunt über die sich gleichenden Körpersilhouetten: das Schädelchen, die schlaff-schwellende Körpermitte, sich verjüngend zu den stützstrumpfartig engen Hosenbeinen. Wie Gelatine-Torpedos. Wie die Darts-Pfeile, die manche von ihnen ohne Unterlaß an die Wand werfen!

Na – war das eine Überleitung?

Spaß beiseite und im Ernst. Es besteht wohl – und man möchte Psychologe sein, um Genaueres zu wissen – ein diffuser Zusammenhang zwischen zu engen Jeans, dunkel gebeiztem Holz und Dartspfeile-Werfen. Von Bärten und Goldkettchen ganz zu schweigen. Heult nur auf, ihr Massen! Wer mir nicht glaubt, darf sich gerne einmal ins Eurosport-Programm einklinken. Da dräut uns, kurz bevor die Snooker-Rüschenhemden und Poolbillard-Westen ihren Auftritt haben, hin und wieder ein Dartsvergleich. 27 Zuseher drängen sich mit mahlenden Kiefern im Harlekin-Unterhaltungstempel zu Augsburg. Weil: Vor den Kameras darf nicht geraucht werden. Vorne rechts Helmut Haller. Der nach Bertolt Brecht zweitprominenteste Augsburger soll anschließend die Sieger ehren. Das ist die Strafe, Helmut.

Hättest du damals nach dem Endspiel nicht den Ball mitgehen lassen... vielleicht wäre alles anders gekommen. Was für eine Karriere! Vom WM-Finalist zum Grüß-August für Pfeilchenwerfer. Ganz so ungerecht will ich mal nicht sein. Es ist nicht so einfach, wie es langweilig ist.

Man muß auf einer Scheibe (40–45 Zentimeter Durchmesser) ziemlich kleine Felder treffen. Immerhin. Die mal mehr, mal weniger zählen. Das muß man dann von einer Ausgangssumme abziehen. Wer zuerst auf Null ist, hat gewonnen. Also: gute Augen sollte man haben und rechnen können. Früher. Heutzutage geht alles elektrisch: everything is shown on the scoreboard. Wer allerdings nicht nur drauf aus ist, blinkende Tafeln zu beobachten, kriegt wenig für sein Geld.

Ein Heinz oder Jacky oder eine Dolly eiert in ungewohnten Sportschuhen aus der Dekoration und wippt in Position. Leicht in die Kniebeuge und das Stützbein ausgefahren. Und schleudert mit schlaffen Backen drei Pfeilchen an die Wand. Geht hin, rupft die Darts von der Scheibe, wirft, rupft die Darts von der Scheibe, wirft... So geht das weiter und weiter, und man ertappt sich dabei, daß man sich freut, wenn wenigstens ab und zu der immerzu saudumm lächelnde Helmut Haller ins Bild gezoomt wird.

Können Sie sich noch erinnern? Verteidiger Cohen wehrt einen Schuß zu kurz ab, Held kriegt den Ball, spielt auf Helmut, und gegen dessen Flachschuß hat Banks of England keine Chance. Zwölfte Minute. 1966. WM-Finale in Wembley. Entschuldigung.

Wo waren wir? Ach ja: geht hin, rupft die Darts von der Scheibe. Soviel zu den körperlichen Anforderungen eines Dartslers. Oder sagt man Dartsisti? Wie auch immer. Findet das irgendwer interessant, außer einer handvoll angeschimmelter Spielautomatenbrüder? Dagegen ist Rhönradturnen eine nervenzerfetzende Veranstaltung. Ich meine, wenn schon Fernsehen, dann wenigstens minimal bewegte Bilder. Da sollte sich der Gesetzgeber mal Gedanken machen. Sonst übertragen sie demnächst den 17-und-4-Frühschoppen-Stammtisch im Café Mendle bei mir um die Ecke. Mit Zeitlupen. Muß doch nicht sein.