■ Im Prozeß um den Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im April 1986 redet bisher nur einer der fünf Angeklagten: der ehemalige libysche Geheimdienstmann Musbah A. Eter Von John Goetz und Peter Niggl
: Der unberechenbare Kronzeuge

Sofort nach dem Attentat auf die Diskothek „La Belle“ machte US-Präsident Reagan Libyens Staatschef Gaddafi für den Anschlag verantwortlich. Der in Berlin laufende Prozeß zeigt jetzt die dubiose Rolle verschiedener Geheimdienste.

Das Anklagegebäude von Oberstaatsanwalt Mehlis im Berliner „La Belle“-Prozeß hat tiefe Risse bekommen. Sein Kronzeuge, der libysche Exgeheimdienstmann Musbah Abulgassem Eter, ist seiner Rolle als Kronzeuge nicht gerecht geworden und beschuldigt jetzt, allen bislang bekannten Tatvarianten entgegen, seinen ehemaligen Freund Mohammed Ashur, Drahtzieher des Anschlages zu sein. Taktisch geschickt, denn Ashur lebt nicht mehr. Nachdem seine Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst CIA bekanntgeworden war, wurde er 1986 in Ost-Berlin liquidiert. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zählte zu den mutmaßlichen Tätern auch Eter. Der setzt vor dem Moabiter Landgericht eins drauf: Sein Geständnis, das zur Anklage im jetzigen Prozeß geführt hat, sei ihm vom Bundesnachrichtendienst bei einem Treffen in Tunesien abgepreßt worden.

Sein Verteidiger Jürgen Lischewski sieht in den jüngsten Einlassungen Eters nur eine Ergänzung des bislang existierenden Geständnisses. Hinter dem „Umfallen“ Eters könnte der Versuch vermutet werden, seine Großfamilie in Libyen zu schützen. Eters Rolle beim „La Belle“- Anschlag wäre vielleicht nie ans Tageslicht gekommen, hätte nicht kurz nach der Wende sein Stasi-Gegenspieler, Rainer Wiegand, dem Bundesnachrichtendienst umfangreiches Wissen offenbart. Eter muß auch Wiegand nicht mehr fürchten: Der Stasi-Mann kam im vergangenen Jahr während eines Portugalurlaubs bei einem Autounfall ums Leben. Aber das Vermächtnis des Überläufers belastet den Libyer schwer. Wiegand über Eter: „...ein Spezialagent einer libyschen Spezialeinheit in Tripolis. Der Musbah (Eter) hat nach unserer Erkenntnis eine lange Blutspur gezogen.“ Fast alle Beweise für Eters Beteiligung an Terrorakten kommen von Wiegand oder aus den MfS-Akten. Am 6. April 1985 war in Bonn auf offener Straße der Exillibyer Gebril Denali erschossen worden. Das MfS notierte: Eter soll „im Auftrag des libyschen Geheimdienstes in Vorbereitung des Anschlages die Lebensgewohnheiten des Denali ausgeforscht haben“. In einem „Sachstandsbericht“ vermerkte man bei der Hauptabteilung III des MfS: „Aus diesem Grund hatte die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen den A. [Eter; d.A.] Ermittlungen eingeleitet. Da A. seinerzeit Mitarbeiter am Libyschen Volksbüro in Bonn war, erfolgte die Ausweisung und die Verhängung eines Einreiseverbotes für die BRD und Westberlin [...].“ Der Libyer war also für die westlichen Behörden kein Unbekannter, als er Mitte Februar 1986 in die DDR einreiste. Und obwohl Eter den Zugriff der Ermittler fürchten mußte und mit Einreiseverbot belegt war, wurde von seiten des MfS „eine verstärkte Reisetätigkeit nach Westberlin festgestellt“. Kernstück der rund 40.000 Blatt umfassenden „La Belle“-Akten ist der von der Stasi angelegte Operativvorgang (OV) „Lux“. Dort sind zwischen dem 14. Februar und dem 13. April 1986 genau 25 West-Berlin-Besuche des Abulgassem Eter registriert. Konnte er sich sicher fühlen? In den MfS-Akten werden Erkenntnisse dokumentiert, daß diese Reisen Eters der Vorbereitung eines Terroranschlages dienten. Am 26. März 1986 fand ein Treffen in West-Berlin statt, an dem auch Eter teilnahm. Es wurden Zielobjekte eines Bombenattentats besprochen. Die Stasi-Akten deuten darauf hin, daß die USA bereits bei diesem Treffen mit einem V-Mann auf Horchposten waren. Einen Tag später intervenierte nämlich US- Botschafter Francis Meehan bei der sowjetischen Stadtkommandantur in Karlshorst und dem DDR-Außenministerium gegen Vorbereitungen terroristischer Anschläge durch das Libysche Volksbüro in Ost- Berlin.

Das MfS nahm die Vertreter Libyens unter die Lupe. Am 30. März 1986 – eine knappe Woche vor dem „La Belle“-Anschlag – wurde Eter bei der Ausreise nach West-Berlin vom DDR-Zoll kontrolliert. Die Visitation förderte einen Zettel aus Eters Tasche ans Licht. Darauf vermerkt waren drei Diskotheken. Eine davon war „La Belle“. In der Tatnacht war Eter bis etwa eine Stunde vor der Explosion in West-Berlin, so die exakte MfS-Buchführung. Den Rest der Nacht verbrachte er dann mit anderen aus dem vermuteten Täterkreis, Ali Chanaa und Yasser Chraidi, im Ostberliner Lokal „Lindenkorso“. Dies ist durch eine Reihe von IM-Berichten aktenkundig.

Mitte Mai 1986 verließ Eter die DDR, wurde aber rund zwei Wochen später offiziell in den Dienst des dortigen Libyschen Volksbüros gestellt. Ende Dezember 1987 beobachtete die Stasi, wie Eter die US- Botschaft in Ost-Berlin betrat, und hielt fest, daß sich Eter, vom MfS als IM „Derwisch“ geführt, am „31.12.87 von 12.04 Uhr bis 13.40 Uhr [...] in der Botschaft der USA in der DDR“ aufgehalten hat. Das MfS fand außerdem heraus, daß Eter ein Gespräch mit dem Vizekonsul und 3. Botschaftssekretär Michael Patrick Johnson führte. Den Inhalt der Unterredung brachte das MfS nicht in Erfahrung. Spätestens hier begann eine – inzwischen offiziell bestätigte – Zusammenarbeit Eters mit amerikanischen Behörden, die sich mindestens bis März 1989 hinzog. Eter bereitete anscheinend den offenen Frontwechsel vor. Im Frühjahr konnten Eter und seine Freundin nach West-Berlin gehen. Die bundesdeutschen Behörden betrachteten den Libyer nun als Dissidenten.

Als im April 1990 Wiegand zu einer „Besprechung“ mit Vertretern des Staatsschutzes, des BKA und des BND zusammentraf, warteten die westlichen Gesprächspartner mit Ergebnissen auf. So berichtete der Vertreter des Westberliner Staatsschutzes: „Die verantwortlichen Vernehmungen haben in der Hauptsache unter dem Aspekt Denali stattgefunden [...]. Ansonsten ging es uns natürlich darum, ihn an den Fall ,La Belle‘ heranzuführen [...]. Wir hielten ihn zu diesem Zeitpunkt nicht für den zentralen Täter oder Organisator dieser Angelegenheit und aufgrund seiner dargestellten Persönlichkeit, würde mal sagen, war ich der Auffassung, daß man ihn vielleicht wirklich würde unter diesen oder jenen Bedingungen zu einer Mitarbeit bewegen können [...].“

Es gibt Hinweise, daß Eter nicht erst an Silvester 1987 den US-Behörden einen Besuch abstattete. Vor dem Seitenwechsel hatte sich Eter mit einem IM der Stasi darüber unterhalten, welche Probleme beim Übersiedeln nach West-Berlin auftauchen könnten. „Der IM machte ,Derwisch‘ darauf aufmerksam, daß die Befragung bei den Amerikanern sehr lange dauern könnte. Diesbezüglich äußerte ,Derwisch‘, keine Befürchtungen zu haben.“ Die Indizienkette, daß Eter schon vor Ende 1987 Kontakt zu US-Dienststellen aufgenommen hatte, verdichtete sich mit der Operativinformation Nr. 324/87 des MfS. Darin wurde am 23. Oktober 1987 festgehalten, daß „einer überprüften Quelle“ zufolge Eter „im Besitz von einem ,Übersiedlungsvisum‘ für die USA“ ist. Eter habe sich bereits am 8. September 1987 dieses Formular von Yousef Salem (so der Aliasname des jetzt mitangeklagten Yasser Chraidi) übersetzen lassen. Dabei wurde der Stasi auch bekannt, daß Eter „das Formular selbst aus der USA-Botschaft abgeholt hat“. Diese Fakten stehen im Widerspruch zur offiziellen US-Version der Zusammenarbeit mit Eter. Anläßlich der „La Belle“- Ermittlungen ließ Washington die Berliner Staatsanwaltschaft wissen: „Am 30. Dezember 1987 kam Musbah Umar Al-Tih (auch bekannt unter dem Namen Musbah Umar Abd Al-Qasim [d.h. Eter; d.A.]) in die US-Botschaft in Ostberlin, stellte sich als Journalist bei der Jana News Agency, welche dem Libyschen Volksbüro in Ostberlin zugeordnet ist, vor. Er behauptete, von der libyschen Regierung nach Tripolis/Libyen zurückgerufen worden zu sein, aber nicht dorthin zurückkehren zu wollen. [...] Unsere Regierung unterhielt einen informellen Kontakt mit ihm von Januar 1988 bis März 1989, als die US-Regierung ihm erklärte, daß ein weiterer Kontakt nicht mehr erwünscht sei.“ Außerdem beteuern die amerikanischen Auskunftgeber: „Während der Dauer der Kontakte hat die US-Regierung o.g. [also Eter] weder Geldmittel zukommen lassen, noch Unterstützung bei der Erlangung und Ausstattung einer Wohnung in Berlin geleistet.“

In einem Bericht über ein Gespräch mit Eters Ehefrau Manon vom Februar 1995 ist vielsagend vermerkt: „Auf die Frage, ob die Familie von irgendwelchen US- Stellen Geld erhalten habe, – wobei ihr die Summe von 40.000 Mark genannt wurde – erklärte sie, daß das zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen sei. Sie habe lediglich Kindersachen (Babydecke, Bekleidungen) zur Geburt des ersten Kindes erhalten. Nebenbei wird in dem Bericht vermerkt: „Eingehende Befragungen hätten durch eine US-Dienststelle (auch hinsichtlich ihres Mannes Musbah) stattgefunden.“

MfS-Mann Wiegand zeigte sich noch Jahre später über all diese Vorgänge erstaunt: „Da haben wir lange darüber gerätselt, wieso passiert dem nichts. Wir haben mitbekommen, daß er sogar nach München ausgeflogen wurde [...].“ Am 20. Dezember 1988 schickte nämlich der Koordinierungsausschuß für die Alliierten Streitkräfte, Zweigstelle München, eine Einladung an Eter: „Da unsere Diskussionen sehr detailliert sind, möchten wir Sie bitten, sich auf einen zweiwöchigen Aufenthalt vorzubereiten.“ Freie Kost und Logis für den Mann, der als Spezialist auf dem Sektor Terrorismus angesehen wurde. Noch funktionierten die Spiele der Konspiration, aber seit März 1990 war seine Rolle bekannt. Eter blieb dennoch bis Juli 1990 unbehelligt. Dann kehrte er nach Libyen zurück.

Fünf Jahre später, am 10. September 1995, kam es auf der Mittelmeerinsel Malta zu einem bedeutsamen Treffen zwischen Eter, dem libyschen Geheimdienstmann, und Detlev Mehlis, dem Berliner Oberstaatsanwalt für den Fall „La Belle“. Mehlis war offensichtlich bereit, weitgehende Zugeständnisse zu machen. Denn bevor er sich mit Eter an einen Tisch setzte, sorgte er dafür, daß am 27. April 1995 vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten der Haftbefehl gegen den Libyer aufgehoben wurde. Trotz zahlreicher belastender Dokumente legte Oberstaatsanwalt Mehlis dar, daß es ihm nicht gelungen sei, den Tatverdacht gegen Eter „in einer Weise zu verstärken, daß eine Anklageerhebung gegen diesen Beschuldigten beim derzeitigen Sachstand als wahrscheinlich erscheint“.

Mehlis schien für einen Augenblick das Glück des Fleißigen hold. Eter ließ sich dazu bewegen, Libyen zu verlassen, um sich als Beschuldigter wie als Kronzeuge auf die Anklagebank in Berlin zu setzen. Er durfte sogar unter polizeilichem Schutz vom 26. bis 28. Januar und vom 19. bis zum 20. März vergangenen Jahres in München das Hotel „Holyday Inn“ sowie am 26. und 29. Januar 1997 das „Alpenhotel Oberjoch“ aufsuchen. „Die Aufenthalte des Musbah A. E.“, so ein Vermerk des Berliner Landeskriminalamtes, „seien zur Regelung geschäftlicher Angelegenheiten durchgeführt worden.“ Zu den Unternehmen des Musbah Eter gehört die Im- und Exportfirma für Flugzeugteile I.G.S. in Mosta auf Malta.

Obwohl Eter bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe zwischen vier und sieben Jahren nach Meinung des Oberstaatsanwaltes genügend Fluchtanreiz hatte, faßt Mehlis die erleichternden Umstände zusammen. „Eine Flucht in sein Heimatland“, so Mehlis, scheide für Eter „aus nachvollziehbaren Gründen aus“. Und Eter verfüge „über keinen Reisepaß, da er diesen freiwillig an das LKA Berlin herausgegeben hat. Damit hat die Fluchtgefahr hinsichtlich des Beschuldigten kein Maß erreicht, das die Beantragung eines Haftbefehls erforderlich macht.“ Mehlis scheint seinen Mann unterschätzt zu haben. Im Juli vergangenen Jahres verließ Eter sein Domizil in der Mahlsdorfer Kastanienallee und flüchtete nach Rom. Bei der späteren Festnahme in Rom trug Eter übrigens jenen Paß bei sich, von dem Oberstaatsanwalt Mehlis geschrieben hatte, der Libyer habe ihn abgegeben. Als Mehlis am 30. Juli einen Anruf vom flüchtigen Eter erhielt, blieb er dennoch moderat. Er forderte ihn auf, sofort zurückzukehren und „gut auf sich aufzupassen“.

Stasi-Mann Wiegand hatte schon früher über Eters Sonderbehandlung gerätselt: „Es geht um Höheres.“s