Die Auflehnung des Hausierers

■ 11. bis 18. Januar: Eine Woche Peter-Weiss-Intensivkurs im Bremer Peter-Weiss-Theater, Kino 46 und Radio Bremen 2

„Ich war nie Deutscher“, sagte Peter Weiss kurz vor seinem Tod 1982 in Stockholm. Aber immerhin war Weiss über zehn Jahre lang Bremer, solange nämlich, bis die Erfolge den im Textilgewerbe reüssierenden Vater nach Berlin vertrieben – und die Nazis ihn später nach Prag und Stockholm. Nicht der schlechteste Grund, eine Peter Weiss Woche einzuläuten, auch wenn die Erinnerungen des Texte-Bilder-Filmemachers an die Volksschule Bremen-Horn zerknirscht klingen: „Vorm Schultor floh ich zurück, ich lief zurück über die schwarze, hartgestampfte Schlacke des Schulhofs, ich lief auf der weißen, staubigen Allee zurück, hinein in die verwilderte Tiefe des Parks. Es war der erste Schultag. Es war der Anfang der Panik, ich wollte mich nicht fangen lassen.“

Der wahre Grund aber für das Bildungspaket, das Iris Laufenberg, Dramaturgin des Bremer Theaters, kompetent-kompakt schnürte, heißt natürlich anders: McKinsey, Symbol für eine Kunst, die aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage marktgerecht produziert wird. Bei der Pressekonferenz ließ denn auch Intendant Klaus Pierwoß Weiss-Gedanken über die politische Relevanz von Kunst um den Namen des neuen Bremer Antichristen wuchern – auf daß er endlich verschwinde. Nostalgisch wird uns Peter Weiss erinnern an eine Zeit, wo Kunst nicht als Dienstleistung aufgefaßt wurde, sondern als Auflehnung.

Doch steinig war auch Weiss Weg zu seiner Idee der Untrennbarkeit von Politik, Kunst und Integrität jedes Einzelnen. Im „Schatten des Körpers des Kutschers“ist die Rede von der „Gegenkraft, ...  die mich früher dazu zwang, meine Schreibversuche abzubrechen ... und mir einflüstert, daß dieses Gesehene und Gehörte allzu nichtig sei, um festgehalten zu werden und daß ich auf diese Weise meinen ganzen Tag völlig nutzlos verbringe.“

Während Leute wie Herbert Wehner oder Willy Brandt im Stockholmer Exil die Linke zu reorganisieren suchten, malte Weiss – same time/ same place – im Stil des symbolischen Realismus eines Franz Radziwill eine ausgelassene Zirkusgesellschaft vor bedrohlicher Industrielandschaft. Im Vordergrund steht einsam ein Bauchladen-Verkäufer: „Ich bzw. der Hausierer“. Die versäumte politische Tat holte er nach in der „Ästhetik des Widerstands“, eine (ganz andere) Art Recherche du temps perdu. Rekonstruiert wird nicht das flüchtige, subjektive Erlebnis, sondern – ganz allgemein – die Konstitution von linkem Bewußtsein in einigen – ganz besonderen, ganz konkreten – Arbeiterköpfen. Und die Auseinandersetzung mit Kunst, dem Pergamonfries oder Gericaults „Floß der Medusa“spielt dabei eine wichtige Rolle. Schließlich schreiben wir noch die Prä-McKinsey-Ära. Adorno und Bloch miteinander verschweißend, geht es darum, die unvermeidbare ideologische Verseuchung eines Kunstwerks zu erkennen, es „gegen den Strich“zu bürsten, seinen Vorschein auf das richtigere Leben freizusetzen und so für die eigenen Zwecke zu nutzen. Ein Kunstverständnis, das Pierwoß zu teilen behauptet.

Mit drei „Kunstdebatten“(am 13. und 14. Januar, 20 Uhr, Concordia, gekoppelt an eine Lesung aus der Ästhetik und am 18. Januar, 11.30 Uhr Theater am Goetheplatz) signalisiert man, daß man mehr will als literaturhistorische Bildung. Soll tatsächlich mehr dabei herauskommen als die altbekannten Den-Zuschauer-verunsichern-und-zum Umdenken-zwingen-wollen-Beteuerungen, wird man an den laufenden Inszenierungen – Horvath, Goldoni, Silver und andere – das Kritik- respektive Scheinkritikpotential durchdiskutieren müssen.

Kongenial zu Weiss „Dramaturgie der Verschachtelung“(Pierwoß) ist auch das Programm der Peter-Weiss-Tage hübsch verzweigt. Radio Bremen 2 konzentriert sich in stattlichen sieben Radiobeiträgen auf den Bremenaspekt. Das Kino 46 (Waller Heerstraße) zeigt am 16. Januar um 20.30 Uhr einen abendfüllenden Spielfilm, am 18. Januar 18 Uhr Buñuel-inspirierte halb surreale, halb dokumentarische Kurzfilme (Achtung, einmalige, unwiederholbare Gelegenheit!) und am 11. Januar um 19 Uhr einen Film über den Maler Weiss. Das Medienzentrum (beim Kino 46) stellt circa 50 Bilder und Collagen (darunter Illustrationen eigener Werke und von 1001 Nacht) aus. Zur Eröffnung wird Gunilla Palmstierna-Weiss aus Stockholm anreisen und zwar „nicht als Schriftstellerwitwe“(Laufenberg), sondern als Schauspielerin und versierte Bühnenbildnerin. Natürlich treibt uns unsere schnöde Neugier am 16. Januar um 19 Uhr zur Witwe und nicht zur Theaterfrau Weiss.

Eine Fotoausstellung im Foyer des Schauspielhaus zeigt nicht nur einen noch unbeleckten Zwergen-Weiss im Matrosenanzug, sondern auch die herrschaftliche Villa der Eltern in der Marcusallee 45. Ob die wohl noch steht? Sicherheitshalber ließ die Theatercrew zum – vorläufigen – ewigen Gedenken den Goetheplatz durch ein neues, richtig echtes Straßenschild in Peter-Weiss-Platz umtaufen. Ganz klar, Kunst ist Auflehnung. Und wir findens lustig. bk