Und dann zum Wal-Cocktail ans Kap

Nach der Wende in Südafrika: Die Ökologie hat an Bedeutung gewonnen, auch wenn soziale Probleme Vorrang haben. Mit dem Tourismus soll der Naturschutz am Kap der Guten Hoffnung gefördert werden. Noch locken Wale, Pinguine und Schwarze Gnus  ■ Von Michael Obert

Wenn der Teufel am südafrikanischen Kap nicht mit dem holländischen Piraten van Hunks um die Wette geraucht hätte, würde der Welt heute ein großes Naturwunder fehlen: der Tafelberg bei Kapstadt. Will man der Legende glauben, so zieht der diabolische Pfeifenrauch seit Jahrhunderten in feinen Schichten über das Hochplateau im Rücken der Stadt. Tatsächlich wird die dünne Wolkendecke durch den Passatwind aus Südost gebildet. Ihre Feuchtigkeit speist eine einzigartige Artenvielfalt, die nirgendwo sonst auf der Erde so nahe an einer schnell wachsenden Metropole zu finden ist.

Am Fuß des über 1.000 Meter hohen Tafelbergs pulsiert das Großstadtleben mit scharfen Kontrasten: Konsumpaläste glitzern neben elenden Hütten. Abgaswolken mischen sich mit Blumenduft. Emsige asiatische Händler, elegant gekleidete Herren mit Aktenkoffer und Handy, Taschendiebe und Bettler teilen sich die hektischen, lauten Straßen von Kapstadt. Einen Steinwurf weiter, im schattigen Bergwald an den Hängen des Tafelbergs, ist es still. „Fynbos“ wuchert über die Felsen. Diese mittelmeerähnliche Flora setzt sich aus einer Vielzahl von niedrigen Sträuchern und Gräsern zusammen, welche die gesamte Kaphalbinsel überziehen.

Der Tafelberg ist das bevorzugte Naherholungsgebiet von drei Millionen Kapstädtern. Darüber hinaus zieht das Wahrzeichen der Stadt jedes Jahr Hunderttausende von Besuchern an. Der Tourismus brachte an die 90.000 Arbeitsplätze. Aber auch Probleme: Ein unüberschaubares Geflecht aus Pfaden bedeckt den Tafelberg. Müll, Buschbrände durch unachtsamen Umgang mit Feuer und großflächige Erosion belasten die Naturoase. Die ortsfremden Pflanzen, die einst eingeführt wurden, um die kahlen Hänge zu begrünen, sind längst außer Kontrolle geraten und haben sich schnell über die Kaphalbinsel ausgebreitet, wo sie jetzt zunehmend die einheimischen Pflanzen verdrängen. Die Region weist für ein Gebiet ihrer Größe die weltweit höchste Konzentration von gefährdeten Arten auf.

Der Tafelberg ist das touristische Zugpferd der Kaphalbinsel. Der World Wide Fund For Nature (WWF) in Südafrika will den Gebirgsstock künftig auch zum Aushängeschild für den Naturschutz in der Region machen. Der Table Mountain Fund, eine großangelegte Spendenaktion, soll einmal 25 Millionen Rand umfassen (umgerechnet rund 8,3 Millionen Mark). „Zehn Millionen Rand haben wir schon geschafft“, verkündet Bun Booyens, Sprecher des WWF Südafrika. Die Zinsen der Stiftung werden zur Bekämpfung der ortsfremden Pflanzen, zur Kontrolle von Buschfeuern sowie für die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete und die Unterhaltung der auf einer Fläche von 30.000 Hektar bereits bestehenden Reservate auf der Kaphalbinsel verwendet.

Das Anliegen südafrikanischer Naturschützer steht sicherlich nicht ganz oben auf der politischen Prioritätenliste. Für viele Millionen Menschen in den Townships hat sich seit der Ablösung des Apartheidregimes nur die Hautfarbe der meisten Politiker geändert. Sie sind die Ärmsten der Armen geblieben – ohne Zukunftsperspektiven.

Trotzdem sei Südafrika in Sachen Naturschutz seit der politischen Wende um Lichtjahre fortgeschritten, so WWF-Sprecher Booyens. In Zeiten der leeren Staatskassen soll sich der Tourismus bis zur Jahrtausendwende zu einer der größten Devisenquellen entwickeln. Im vergangenen Jahr verzeichnete Südafrika mit 1,2 Millionen Gästen schon Zuwächse von rund 50 Prozent im Vergleich zu 1994. In den nächsten drei Jahren soll diese Zahl noch einmal verdoppelt werden. Da müsse auch für den Naturschutz etwas abfallen, meint Booyens. Schließlich seien die Hauptsehenswürdigkeiten am Kap alle naturbezogen.

Für eine Kaprundfahrt – sie gehört zum Pflichtprogramm jedes Besuchs in Südafrika – trifft das allemal zu. Eine halbe Autostunde südlich von Kapstadt liegt die von Bergen umgebene Hout Bay. Von hier aus fährt eine Barkasse zu den Klippen von Seal Island, wo es eine große Robbenkolonie gibt. Zur Paarungszeit versammeln sich in der Kapregion Hunderttausende von Südafrikanischen Pelzrobben. Vor den 300 Meter steil zum Meer abfallenden Sentinel-Felsen am Rand der Hout Bay tummeln sich die Tiere in den wogenden Kelp- Algen oder posieren für die Kameras der Touristen auf den warmen Felsen. Am Kai des Fischereihafens haben Arnold und Kiki aus Berlin vor einem Jahr die angeblich „südlichste deutsche Imbißbude der Welt“ aufgemacht. Ob es denn wirklich die südlichste sei, will keiner wissen.

Von Hout Bay aus frißt sich der Chapman's Peak Drive durch die Steilküste in Richtung Süden. Die spektakuläre Panoramastraße eröffnet ständig wechselnde Aussichten. In der Tiefe faucht der Atlantische Ozean die Felsen an. Rostige Schiffswracks liegen dort. Möwen haben sie besiedelt. Im Hinterland leuchten einsame Häuser im kapholländischen Stil, weiß getüncht, mit geschwungenen Giebelwänden und Reetdächern. Überall blüht es. Das Gebiet zwischen Tafelberg und Südkap bildet eines der sechs florenreichen der Erde. Hier gedeihen 2.256 einheimische Pflanzenarten – fast doppelt soviel wie beispielsweise auf den Britischen Inseln.

Das Cape of Good Hope Nature Reserve ist eine der letzten unberührten Schatztruhen für diese Reichtümer am Kap. Auf einer Fläche von 77 Quadratkilometern steht die gesamte Südspitze der Kaphalbinsel bereits seit 1939 unter Naturschutz. Das Naturreservat ist ein wichtiger Wirkungsbereich des WWF Südafrika. Die weiten Sand- und Kalksteinebenen bieten Lebensraum für 80 Säugetierarten, wie die Elenantilope oder den Buntbock, eine beinahe ausgestorbene Antilopenart, die hier erfolgreich wieder angesiedelt wurde. Horden von Pavianen wohnen in den Felsen. Springböcke, Schwarze Gnus, Kap-Bergzebras, die zu den seltensten Großsäugern der Welt gehören, trotten gemächlich über den Fynbos.

Die Straße endet am Kap der Guten Hoffnung. Der südwestlichste Punkt Afrikas – der südlichste ist das optisch eher unspektakuläre Kap Agulhas – war schon in alten Seefahrerzeiten für seine Stürme berüchtigt. Heute gehört das Kap den Touristen. „Wir waren hier!“ – wer wollte da nicht ein Erinnerungsfoto mit nach Hause nehmen. Gedränge an den Holzschildern mit der Aufschrift: „Cape of Good Hope“. Kameras klicken, liefern den Beweis. Babylonisches Sprachengewirr. An den Felsen donnert die Brandung. Dahinter vereinigen sich Atlantik und Indischer Ozean. Containerriesen umschiffen die tückische Küste in sicherer Entfernung. Weiter draußen gibt es nur noch Wasser und Eis – bis zum Südpol.

Auf dem Rückweg entlang der Ostküste der Kaphalbinsel liegt die Boulders Bay. An diesem kleinen Strand bei Simonstown hat sich eine Kolonie von etwa 1.000 Brillenpinguinen niedergelassen. Van, der Pinguinmann, kümmert sich seit Jahren ehrenamtlich um die bedrohten Tiere. „Um die Jahrhundertwende haben die Pinguine noch in großer Anzahl auf den Felseninseln vor der Küste gebrütet“, erzählt der pensionierte Marinesoldat den Besuchern am Strand, während die gefiederten Frackträger wenige Meter davon ungerührt in der Sonne stehen. Mittlerweile sei der Gesamtbestand um 90 Prozent zurückgegangen, so Van. Jagd, kommerzielle Überfischung der Gewässer und die Abnahme geeigneter Brutstätten seien die Hauptgründe – und die Ölverschmutzung.

Im Juni 1994 lief der Tanker „Apollo Sea“ auf Grund. Das ausgelaufene Öl verklebte unter anderem 10.000 Pinguine. Die Hälfte davon konnte mit Unterstützung des WWF Südafrika in speziell eingerichteten Rettungszentren gereinigt und mittlerweile wieder erfolgreich ausgesetzt werden. Über 80 Prozent der geretteten Tiere brüten bereits wieder.

Der abschließende Höhepunkt einer Kaprundfahrt ist die Walbeobachtung an der Ostküste. Hier zeigt sich, wie sich Naturschutz und Tourismus verbinden lassen. Dank intensiver Schutzmaßnahmen werden in den Gewässern jährlich bis zu 360 Glattwale gezählt – davon über 100 Jungwale. Die mit 50 Tonnen schwersten Säugetiere der Welt ziehen am Kap ihren Nachwuchs auf, bevor sie sich auf die lange Reise in die Antarktis machen. Der Ferienort Hermanus wirbt derweil kräftig mit den maritimen Schwergewichten: Wal-Ausrufer, Wal-Museum, Wal-Hotline, Wal-Cocktail in der Walfisch-Bar haben die Einwohnerzahl während der Hochsaison verdreifacht.