„Ich führe das Leben von meinem Bruder weiter“

■ Peter Böttcher, dessen Wohnung im Magdeburger Stadtteil Cracau von rechten Schlägern überfallen wurde, hat es satt, in Angst zu leben. Er hält sich versteckt und will möglichst bald weg aus der Stadt

Peter Böttcher schaut schüchtern und argwöhnisch. Seine Wohnung in Magdeburg-Cracau ist vergangenen Samstag überfallen worden. „Keine Kameras und kein Mikrofon. Die Journalisten haben mir schon im letzten Jahr das Wort im Mund umgedreht.“

Im Februar 1997 war sein Bruder Frank von einem rechtsextremen Jugendlichen in Magdeburg- Olvenstedt erstochen worden. Frank hatte den Fehler begangen, sich als Punk nachts in einen Stadtteil zu begeben, in dem die Rechten das Sagen haben. „Dabei habe ich ihm schon an seinem ersten Tag in Magdeburg gesagt, fahr nicht nach Olvenstedt“, erzählt Peter. Er hatte 1996 seinen jüngeren Bruder in das Wohnprojekt geholt, in dem er selber wohnte. Weil sie Freunde waren und weil er sich um Frank kümmern wollte. Sein Bruder war schon vor ihm von zu Hause abgehauen und hatte in verschiedenen Heimen gelebt.

Mit Franks Tod hat sich für den 19jährigen mit den großen braunen Augen und der schmalen Statur alles verändert. „Seitdem Frank umgebracht wurde, ist in mir drin ein schwarzes Loch. Jetzt führe ich das Leben von meinem Bruder weiter.“ Mit dem Irokesenschnitt sieht er seinem Bruder, dessen Grab er oft besucht, sehr ähnlich. Zum „richtigen Punk“ ist er erst damals geworden. Was das ist? „Spaß und Musik.“ Damit soll es jetzt – zumindest nach außen – vorbei sein. Nur „innerlich“ will er „Punk bleiben“, sein Aussehen wird sich ändern: „Ich habe Angst, erkannt zu werden.“

Daß die Rechten ausgerechnet seine Wohnung überfallen haben, ist für Peter kein Zufall. „Ich habe das Gefühl, die jagen mich, weil ich die rechte Szene für den Mord an Frank verantwortlich gemacht habe.“ Mit dieser Überzeugung war Peter Böttcher im vergangenen Jahr schon in den Zeitungen zitiert worden, als Polizei und Staatsanwaltschaft noch ihre Version von einem Streit unter Punks aufrechterhielten.

Gordon G., der bei dem Überfall lebensgefährlich verletzt wurde, hat Peter im Krankenhaus erzählt, die Skins hätten zwischen den Schlägen immer wieder gefragt, „wo Böttcher ist“ und gesagt: „Wir kriegen ihn.“ Während Journalisten bereits am Montag mit dem schwerverletzten 23jährigen Interviews am Krankenbett machen durften, schickte man Peter und seinen Freund wieder weg. „Fast nicht wiedererkannt“ hätten sie Gordon dann, als sie am Dienstag endlich zu ihm durften. Gordon tut Peter leid: „Der hat die Prügel für mich bezogen.“

Nur ein glücklicher Zufall scheint es zu sein, daß es Peter nicht erging wie Gordon. Zufällig hatte er am vergangenen Samstag auf dem Bahnhof ein paar Punks getroffen, fuhr „spontan zu einem Konzert nach Erfurt“, erzählt er. Zurückgekommen ist er erst nachts, nachdem der Überfall vorbei war. Als er die beschädigte Tür seiner Wohnung sah, dachte er, es sei eingebrochen worden und sprach Zivilpolizisten an, die ihm vor dem Haus aufgefallen waren. „Erst auf dem Revier haben sie mir gesagt, was passiert ist.“ Dort habe man ihm dann empfohlen, erstmal „unterzutauchen“. „Als ich nach Polizeischutz gefragt habe, wurde mir gesagt, das könnten sie wegen Personalmangels nicht durchführen“, sagt der 19jährige mit ironischem Unterton. Danach hätten Polizisten ihn „einfach so“ in seine Wohnung zurückgefahren.

In Magdeburg bleibt Peter Böttcher nur noch wegen seiner Ausbildung zum Koch. Danach will er „auf jeden Fall weg“. Seit fünf Jahren ist der Tod sein ständiger Begleiter geworden. Als 14jähriger mußte er miterleben, wie Neonazis beim Überfall auf eine Geburtstagsparty den 23jährigen Punk Thorsten Lamprecht erschlugen; nach dem Mord an seinem Bruder beging einer seiner Freunde „aus Verzweiflung“ Selbstmord, und jetzt hätte einen Bekannten der Besuch in Peters Wohnung fast das Leben gekostet. Heike Kleffner,

Tobias Singelnstein