Der Sound zum Zusammenstoß

■ Im Naturfreundehaus krachten drei Bands aufeinander

„Das wird hart werden!“hatte der Veranstalter vor dem Konzert von „Systral“, „Midget“und „The Flying Luttenbachers“am Samstag verkündet. Als dann die erste Band die Bühne im zum Bersten gefüllten Naturfreundehaus enterte, entpuppte sich das Versprechen bzw. die Warnung noch als satte Untertreibung. „Systral“präsentierten sich als Bolz- und Brüll-Band alter Schule. Mit lärmendem Rockinstrumentarium und Vokaleinlagen zwischen Grölen und Grunzen – Mikrofon natürlich immer aggressiv angewinkelt mit dem unteren Teil nach oben vor den Mund gehalten – lieferten sie den Soundtrack zum Frontalzusammenstoß auf der Autobahn. Wäre es von John Zorn, hätte man Jazz dazu gesagt. Entziehen konnte man sich der morbiden Schönheit kaum. „Das ist echt übel!“beschwerte sich ein Zuhörer und war kurze Zeit später der begeistertste Jubler.

Wer meinte, mit „Systral“den härtesten Teil des Abends hinter sich zu haben, hatte die Rechnung ohne die Stuttgarter „Midget“gemacht. Auf Krach standen sie mindestens genauso, sie hatten aber noch mehr Dinge mitgebracht, mit denen sie diesen Krach fabrizierten. Neben einem Sampler, der nur zu hören war, wenn die richtigen Instrumente kurz pausierten, war das ein kurioses, selbstgebasteltes Blasinstrument. Es sah aus wie eine Mischung aus Saxophon, Staubsauger- und Gartenschlauch, und es klang auch so oder so ähnlich. Gardinenstangen seien laut Aussage des Erfinders ebenfalls in die Konstruktion eingeflossen. Als Show-Bonus war der Bläser noch ein perfektes Woody Allen-Lookalike, und der schmächtige Vokalakrobat der Band hüpfte in seinem Unterhemd lustig über die Bühne und die ausgestreckten Arme des Publikums.

Wilder als „Midget“ist kaum etwas auf dieser Welt, allenfalls die „Flying Luttenbachers“. Das ahnte womöglich der Mixer des Naturfreundehauses und nahm zwischen den Auftritten klammheimlich Reißaus. Er wurde in der nahegelegenen Gaststätte „Tuborgkrone“gefunden, wo er vergeblich um Polizeischutz ersuchte.

Privat hören die Chicagoer Luttenbachers am liebsten die „Spice Girls“und „Aqua“, ihre eigene Musik ist da ein Stück weit unpoppiger. Schon äußerlich machten sie Angst. Im Gesicht angemalt wie eine Mischung aus „Adam & the Ants“und dem Filmhelden „Sgt. Kabukiman“. Einer der Herren mit zwei haarigen Hörnchen auf dem ansonsten stoppeligen Kopf, ein anderer mit blondiertem Schopf, Schnurrbart, Sonnenbrille und aufgeknüpftem Seidenhemd über der behaarten Brust. Gerade dieser Mann erwies sich als echter Kämpfer an seiner Gitarre. Schon kurz nach Beginn des Auftritts waren fünf von sechs Saiten seines Instruments gerissen, aber dadurch ließ sich der Virtuose gar nicht beirren. Man kann auch auf einer Saite fliegen.

Von allzu lange durchgehaltenen Melodien oder Rhythmen hielt das Trio wenig. Wurde es doch mal eingängig, klang das nach Witz oder Versehen. Lieber beschäftigten sie sich mit kraftstrotzendem Chaos, wobei sie sich nicht lange mit der Theorie aufhielten, sondern gleich in die Praxis übergingen. Für diese Musik wurde die Elektrizität erfunden, und wegen dieser Musik wird die Menschheit doch erlöst werden.

Andreas Neuenkirchen