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„Zukunftsängste sind berechtigt“

Gesichter der Großstadt: Der Psychoanalytiker und Buchautor Horst Petri (61) nimmt sich eines verdrängten Themas an – der Angst der Kinder vor Umweltzerstörung  ■ Von Tim Köhler

Kinder wissen viel über die alltägliche Umweltzerstörung, und häufig leiden sie deshalb unter Todes- und Zukunftsängsten. Dies gilt vor allem für Kinder zwischen neun und zwölf Jahren. Sie haben noch nicht gelernt, zu verdrängen und glauben an Gerechtigkeit.

Das Wissen um die globale Zerstörung und die Angst davor kann auch krank machen: Horst Petri, Psychoanalytiker und Experte für Kinderängste, sieht darin eine mögliche Ursache für die zunehmenden Allergien bei Kindern.

Andere Psychiater suchen bei kindlichen Umweltängsten nach familiären Ursachen. Sie diagnostizieren dann zum Beispiel projizierte Verlustängste aufgrund einer früheren Trennung der Eltern. Horst Petri dagegen therapiert diese Kinder, indem er ihre Ängste ernst nimmt und mit ihnen über sie spricht. Seit Mitte der achtziger Jahre hat er immer wieder darüber geschrieben. „Unmittelbar nach Tschernobyl gab es ein enormes Medieninteresse für die Umweltängste von Kindern. Damals hielt ich 40 Vorträge in einem Jahr zu diesem Thema. Inzwischen wird das Problem wieder genauso verdrängt wie vor 1986“, sagt Horst Petri. Aber er versucht es immer wieder. Hartnäckig. Und fleißig: Mehrere hundert wissenschaftliche und publizistische Aufsätze hat er verfaßt.

Geboren wurde Horst Petri 1936 in Köln. Nach dem Medizinstudium in München und Tübingen kam er 1963 nach Berlin, wo er an der Freien Universität (FU) Facharzt für Neurologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde. Dann aber kam es zum Bruch der akademischen Karriere. Die konservative Ärzteriege in der Fachschaft verweigerte dem linken Kollegen nach 1968, in der Zeit der Berufsverbote, die Habilitation. Die sollte er dann erst viele Jahre später, 1981, in den Fächern Psychotherapie und Psychosomatische Medizin erlangen. Da war er aber schon 45 Jahre alt – zu alt, um noch als Professor berufen zu werden. Als „außerplanmäßiger Professor“ lehrt er heute zwar an der FU. Damit erhält Petri aber nur seine Lehrerlaubnis. Geld bekommt er dafür nicht.

Horst Petri ist geschiedener Vater zweier erwachsener Kinder. Heute lebt er allein in einer kleinen Altbauwohnung voller Bücher in Kreuzberg. Sein Geld verdient er – abgesehen von Büchern und Vorträgen – mit Supervisionen für Gruppen vor allem in psychiatrischen Kliniken. Häufig läßt er in seinen Büchern auch eigene Erfahrungen anklingen, etwa wenn er von den Erziehungsfehlern der 68er spricht. Damals hätten die Eltern den Kindern zuwenig Grenzen gesetzt. Dies habe zu mitunter „folgenschweren Ich-Schwächen und geringen Frustrationstoleranzen“ geführt. Im Klartext: Kinder der 68er bemitleiden sich häufig selbst und versagen leicht. Nach Petris Meinung wiederholen heute viele Eltern denselben (erlernten) Fehler. In seinem gerade erschienenen Buch über Väter („Guter Vater – böser Vater“ im Scherz- Verlag), kritisiert Petri die „Kindzentriertheit“ vieler Eltern heute: „Zuviel Liebe, zuviel Aufmerksamkeit, zuwenig Grenzen.“ Insbesondere Väter seien häufig auffallend schwach und hilflos. Das liegt nach Petri aber hauptsächlich daran, daß Väter ihrer ureigensten Aufgabe, den Schutz der Kinder und der Familie zu sichern, in der heutigen Zeit oft nicht mehr nachkommen können.

Eltern verschließen die Augen vor den Ängsten ihrer eigenen Kinder. Aus Sorge wollen sie immer beschwichtigen: „Nein, nein, so schlimm wie in deinem Traum kann es nicht kommen“, sagt die Mutter zu ihrem nach einem Alptraum verängstigten Kind. Kann es doch. Das weiß jeder seit Tschernobyl. Nur will es niemand mehr wissen. Die Politik ist an Aufklärung nicht interessiert. „Warum ermöglicht die Senatsschulverwaltung zum Beispiel keine Studien zum Thema?“, fragt Petri, und fügt die Antwort gleich hinzu: „So kann das Thema immer als unwissenschaftlich abgetan werden.“ Was Petri betreibt, nennt er selbst „psychoanalytische Zeitkritik“. Dabei formuliert er scharf, manchmal polemisch.

Unsere Kinder, die Petri die „vergifteten Kinder“ nennt, werden weiter getröstet, indem man sie belügt. Dann bleiben sie mit ihren Ängsten allein. „Das Alleinsein ist das schlimmste“, sagt Petri in bedächtigen Worten. „Natürlich wäre es absurd, heute davon abzuraten, Kinder zu zeugen. So kritisch ist die Lage hier nicht. Hier verhungern die Kinder nicht, können zur Schule gehen und müssen sich nicht aus dem Müll ernähren.“

Petri sieht in der Gewalttätigkeit vieler junger Menschen eine mögliche „Vergeltungsaggression“, weil die Erwachsenen den Kindern ihre Rechte (auf Gesundheit, auf Zukunft) nehmen und damit einseitig die Loyalität unter den Generationen aufkündigen. Zu den eigenen Ängsten stehen und mit den Kindern offen über sie sprechen, das ist die Lösung, die Horst Petri vorschlägt. „Umwelterziehung ist Konfliktpädagogik“, beschreibt Petri seinen Kerngedanken. Sich nicht vor den Ängsten zu verschließen bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Dahinter steht die Überzeugung, daß die Ängste berechtigt sind.

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