Er bewegt sich doch: Papst öffnet Archive der Inquisition

■ Der Vatikan räumt mit der eigenen Vergangenheit auf: Nach mehr als 400 Jahren öffnet der Papst die Akten der Inquisition. Die Papiere werden Überraschungen bieten

Rom (taz) – Nach viereinhalb Jahrhunderten fällt eine der letzten Bastionen vatikanischer Geheimniskrämerei: Das Archiv der berüchtigten, für Zigtausende von Folterungen und Todesurteile verantwortlichen Heiligen Inquisition wird Forschern geöffnet. Am 22. Januar wird Monsignor Tarcisio Bertone, Sekretär der Glaubenskongregation beim Heiligen Stuhl, darlegen, wie und für wen der Vatikan die Akten der Anklagen und Prozesse gegen echte und vermeintliche Härektiker und Hexen zugänglich machen wird. „Es wird keine Einschränkungen geben“, kündigte Joseph Kardinal Ratzinger, Vorsitzender der Glaubenskongregation an.

Das „Sant' Ufficio“ war 1542 gegründet worden. Allerdings hatten die Päpste bereits im frühen Mittelalter eigene Ermittlungsbehörden gegen Dissidenten und Andersgläubige eingerichtet. Seit dem 13. Jahrhundert waren vorwiegend Dominikaner für Verhaftung, Folter und die Versendung auf den Scheiterhaufen zuständig. Die Hände schmutzig gemacht haben sie sich dabei allerdings nicht selbst – die Hinrichtung wurde meist vom Staat durchgeführt. Spanien schaffte die Inquisition 1834 ab, Italien 1859, im Vatikan verschwand sie offiziell erst mit der Liquidierung des Kirchenstaates 1870. Doch das Heilige Uffizium als Amt bestand innerkirchlich noch immer weiter – erst 1965 wurde es geräuschlos durch die Kongregation für die Glaubenslehre ersetzt.

Über die genaue Zahl der Verurteilten gibt es bis heute keine gesicherten Angaben – die Rechnungen liegen zwischen einigen tausend und mehr als 80.000 Hinrichtungen und zwischen 100.000 und einer Million Folterungen. Möglicherweise lassen die Archive genauere Recherchen darüber zu. Zwei der spektakulärsten Fälle hat der Vatikan inzwischen von sich aus revidiert – den erzwungenen Widerruf des Physikers Galileo Galilei in Sachen Erdbewegung („und sie bewegt sich doch“) und das Todesurteil gegen den 1600 auf dem Campo déi Fiori in Rom verbrannten Philosophen Giordano Bruno.

Die neue Transparenz reiht sich in die von Johannes Paul II. in den letzten Jahren verfolgte Politik einer „historischen Begradigung“ ein: Der Heilige Vater räumt schwere Irrtümer, Verfehlungen und Verbrechen der Kirche ein und bittet dafür um Vergebung – womit der Vatikan hofft, nicht immer aufs neue mit den Leichen im eigenen Keller konfrontiert zu werden.

Die Auswertung der Akten wird zwar keine lebenden Personen mehr diskreditieren, doch zur Revision so mancher Biographien könnten sie allenthalben führen. So wurden in den Prozessen zum Beispiel niemals die Namen der Denunzianten genannt, die die Betroffenen vor das Gericht gebracht hatten – in den Akten aber sind sie vermerkt. So könnte mancher als guter Mensch gerühmte Zeitgenosse sich als klammheimlicher Spitzel erweisen. Zutage kommen wird auch, wie oft Menschen nicht aus religiösen Gründen auf dem Scheiterhaufen oder im Kerker gelandet sind, sondern aus puren politischen und wirtschaftlichen Interessen – ganze Führungsschichten aufsässiger Regionen in Spanien und Italien wurden so eliminiert. Werner Raith