Nachgestellte Bordsteinschwalben

Großangelegte Abendunterhaltung mit milieubedingten Fehlern: Dieter Wedels Sechsteiler „Der König von St. Pauli“ ist leider wenig gefühlsecht (20.15 Uhr, Sat.1)  ■ Von Klaudia Brunst

Sogar Wedel ist ja jetzt bei Sat.1.“ Wenn auf dem ZDF- Lerchenberg vor zwei Jahr die Litanei von den schlechter werdenden Zeiten gesungen wurde, gebührte Dieter Wedel oft der seufzende Schlußakkord. Wie Heinrich Breloer („Das Todesspiel“) galt der Autor, Regisseur und mehrfache Grimme-Preis- Träger Wedel lange als Garant, daß die erste Reihe doch die besseren Filme macht: Da waren die „Semmelings“ und „Schwarz-Rot- Gold“, der „Bellheim“ und der „Schattenmann“ – alles Stücke, die bei Kritik und Publikum gleichermaßen glänzend angekommen waren. Und da bot die Konkurrenz Wedel den Ruhm einer großen Produktion mit der Verheißung geringer Arbeit an: Für Sat.1 sollte er nur eine von vier Folgen des „Königs von St. Pauli“ selbst drehen. ZDF-Boß Dieter Stolte, bei dem Wedel langfristig unter Vertrag steht, gab den Seinen generös frei – um der Kunst willen.

Anfang letzten Jahres mischte sich dann eine gewisse Schadenfreude in den Tonfall der Mainzelmännchen: „...und dann hat Sat.1 ja auch noch den Wedel am Hals“, hieß es, als bekannt wurde, daß Egomane Dieter Wedel sich mit dem Regisseur überworfen und nun alles selbst in die Hand genommen hatte. Wie abzusehen war, trieb der Perfektionist Wedel Kosten und Mühen sofort weidlich in die Höhe. Zudem stand die Produktion unter keinem guten Stern: Hauptdarsteller Günther Strack erlitt einen Schlaganfall, Ersatzmann Mario Adorf sagte kurzfristig ab. Schließlich brach auch noch Wedel selbst wegen Erschöpfung zusammen. Wie zum Trotz schwoll das Werk derweil vom Vierteiler zum Fünfteiler zum Sechsteiler und hält bereits vor dem Start die Rekorde „teuerstes, längstes, ehrgeizigstes Fernsehspiel“, das Sat.1 je drehte.

Ob es auch das beste ist, was Wedel je gelungen ist, bleibt zweifelhaft. Denn die St.-Pauli-Geschichte hat trotz der vielen guten Schauspieler einen kleinen, aber schon im ersten Teil unübersehbaren Fehler: sie spielt in St.-Pauli. Erzählt wird die Geschichte des mächtigen, gut-bösen Kiezkönigs (nun: Hans Korte), der auf seine alten Tage noch einmal gegen böse- böse Mächte um sein hart erarbeitetes Imperium kämpfen muß. Drum herum wird gerauft und gestrippt, geliebt und gehaßt, wie es sich für das Milieu gehört.

Die Presse hat sich, von Sat.1 freundlich befördert, im Vorfeld vor allem auf Sonja Kirchberger gestürzt, die als Stripperin vor Wedels kritischen Augen ihre Erotikfähigkeit unter Beweis stellen mußte. Jedes Detail der oft quälenden Dreharbeiten wurde bereits vorab berichtet: daß sie sich zunächst schämte, dann aber bei einer Professionellen Unterricht nahm, daß sie sich schließlich überwand und auf offenem Set an einer Eisenstange onanierte – und daß der unerbittliche Meister schließlich befriedigt gewesen sein soll.

Überhaupt paßt es Sat.1 sicher gut in den Kram, daß auf St. Pauli der Wonderbra und die Randale gewissermaßen zum Lokalkolorit gehören. So darf reichlich Blut und Fleisch gezeigt werden. Andererseits liegt in der spezifischen Mischung von Sex, Crime und Bodenständigkeit auch das Problem des Werks: Die meisten Schauspieler haben ihre Mühe, in der nachgestellten Kulisse den typischen Charme auf dem Kiez ansässiger Proleten nachzuahmen. Sicher: Heinz Hoenig kann das. Claude Oliver Rudolph kann es auch. Und manchmal gelingt es sogar Florian Marten, der als Transvestit hier Mut und Klasse beweist. Aber für die weiblichen Hauptdarstellerinnen Sonja Kirchberger oder Mara Maranow ist der Weg von München-Schwabing doch schrecklich weit. Ihr schroffes „verpiß dich, Arschloch“ wirkt aufgesagt, und je lasziver die Schwalben über den nachgebauten Bordstein segeln, desto deutlicher zeigt sich, daß hier ein Spiel gespielt wird.

Sobald sich die Geschichte aus dem Kiez herauswagt, bewegen sich alle viel sicherer: Uwe Friedrichsen als korrupter Stadtrat, Henry Hübchen als geldgieriger Rechtsanwalt oder Edgar Selge als zwielichtiger Bankier. Und auch die naiven „Neuankömmlinge“, der junge Oliver Hasenfratz als heimgekehrter Sohn oder Leslie Malton als ahnungslose Tochter, haben es da allemal leichter.

Natürlich hat Dieter Wedel recht, wenn er über sich sagt, er sei ein guter Regisseur. Und natürlich hat er hier etwas Gute und Teures geleistet: Wer außer ihm hätte es überhaupt so weit treiben können? Trotzdem kommen einem angesichts des ersten Teils oft genug die Tränen. Soviel Mühe und Arbeit, soviel Anstrengung, Einsatz und Geld – und am Ende wirken die Bilder doch oft blutarm, die Dialoge selten echt. Wir werden es trotzdem mit Vergnügen weggucken. Und uns auf Wedels nächstes ZDF-Projekt freuen. Ein Wiedersehen mit den „Semmelings“ steht an. Irgendwo in der Mittelschicht. Also auf festem Boden.

Die nächsten Folgen am: 14., 17., 18., 20., 21.1., 20.15 Uhr, Sat.1