Wenn die Schneefrau grüßt

■ Schwerster Wintereinbruch seit Jahren in Israel: Schulfrei für die Kinder

Jerusalem (taz) – Ein seltener Anblick bot sich gestern in der Emek-Refaim-Straße in Jerusalem. Kein Schneemann, sondern eine prächtige Schneefrau zierte dort die Kühlerhaube eines blauen Kleinwagens. Augen, Nase und Brüste hatte der Künstler mit Mohrrüben markiert. Zahlreiche Schaulustige bestaunten das Meisterwerk.

Eine 20 Zentimeter dicke Schneeschicht hatte in der Nacht ein weißes Laken über die Heilige Stadt gelegt. In Jerusalems Vorgärten beugten sich Palmen und Hibiskussträucher, Zitronen- und Apfelsinenbäumchen unter der Last des Schnees. Abgebrochene Äste versperrten Fußgängerwege und Nebenstraßen. Passanten hatten häufig eine Art Spießrutenlaufen vor sich. Denn hinter Büschen und Bäumen der Vorgärten lauerten jugendliche Schneeballwerfer. Begeisterstes Gejohle begleitete jeden Treffer.

Am Morgen hatte der israelische Rundfunk verkündet, daß alle Schulen und Kindergärten geschlossen seien. Auch der gesamte öffentliche Nahverkehr wurde eingestellt. Die meisten Autofahrer folgten dem Aufruf der Polizei und ließen ihre Wagen stehen. Die morgendliche Rush-hour fiel aus. Die Straßen boten ein Bild der Ruhe wie sonst nur am Sabbat.

Der härteste Wintereinbruch seit Jahren bescherte Israel bereits am Sonntag abend heftige Schnee- und Regenfälle. Sturmböen zogen über das Land. Sogar am Rande der Negevwüste fiel Schnee. Die Temperaturen sanken auf Minusgrade. Kilometerlange Staus blockierten die Schnellstraße zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Selbst Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kapitulierte vor dem Wetter. Eine geplante Rede in Tel Aviv mußte er absagen, weil es kein Durchkommen gab. Rettungs- und Räumfahrzeuge waren im Dauereinsatz, um die wichtigsten Verkehrsadern schneefrei zu halten.

Das mit Lichterketten noch weihnachtlich geschmückte Damaskus-Tor in Jerusalems Altstadt glich am Sonntag abend einer winterlichen Idylle. Das dichte Schneetreiben und das matte Licht verwandelten die meterhohen Palmen auf dem Vorplatz in gespenstisch anmutende Figuren. Nur drei dick vermummte Gestalten und zwei Taxis belebten die Straße.

Im Negev verwandelten sich die Wadis in reißende Flüße. Ganze Landesteile im Süden waren abgeschnitten. Die einsetzende Schneeschmelze brachte gestern die Gefahr neuer Überschwemmungen. Auch der Weg nach Ein Gedi am Toten Meer war unpassierbar. Schwere Hagelstürme verwüsteten besonders im Süden und in Küstengegenden die Ernte.

Hart getroffen wurde auch das palästinensische Gebiet um Hebron. Wegen der starken Schneeverwehungen mußten Straßen gesperrt werden. Abgelegene Dörfer im Westjordanland waren gestern erst spätnachmittags wieder zu erreichen, nachdem das einsetzende Tauwetter dem winterlichen Spuk ein Ende bereitet hatte. Georg Baltissen