piwik no script img

Bosnische Serben wählen Parlamentschef

■ Karadžić-Vertrauter wird in seinem Amt bestätigt. Präsidentin Biljana Plavšić zieht bei der Wahl mit den Hardlinern an einem Strang

Wien (taz) – Das Parlament der bosnischen Serbenrepublik hat sich am Montag wieder einmal nicht auf eine Regierungsbildung einigen können, trotz der Drohung des internationalen Hohen Repräsentanten für die zivile Friedensumsetzung in Bosnien, Carlos Westendorp, in diesem Falle eine provisorische Führung unter UNO- Aufsicht einzusetzen. Die Abgeordneten votierten im Tagungsort Bijeljina lediglich mit 62 zu 18 Stimmen für die Wiederwahl von Dragan Kalinić zum Parlamentspräsidenten. Kalinić ist ein führendes Mitglied der Serbisch-Demokratischen Partei (SDS) von Radovan Karadžić. Von den zwei Vizepräsidentenposten ging je einer an die extremistische radikale Serbenpartei sowie an den Serbischen Volksbund von Republikspräsidentin Biljana Plavšić. Die Diskussion um eine Regierungsbildung vertagten die Abgeordneten.

Wie kam es dazu, daß Kalinić, ein enger Vertrauter des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić, in seinem Amt auch von jener angeblich liberalen Serbenfraktion um Biljana Plavšić unterstützt wurde? Bezeichnend ist außerdem, daß selbst Plavšić nicht auf eine Regierungsbildung drängte, obwohl gerade sie, als vermeintliche Karadžić-Gegnerin, in den Augen westlicher Balkanvermittler als „Garant für Kooperation und Frieden“ (Westendorp) gilt.

Westendorp zeigte sich gestern „enttäuscht“ über das Verhalten der serbischen Volksvertreter, vermied es aber, erste Schritte einer UNO-Zwangsverwaltung für die Republika Srpska einzuleiten. Für die Karadžić-Anhänger ist dies wieder einmal ein taktischer Triumph über UNO und OSZE, die den Serben ihre Vorstellungen zur Umsetzung des Dayton-Vertrags nicht aufzwingen können.

Das Kalkül der internationalen Staatengemeinschaft ging nicht auf, durch offene Unterstützung der Plavšić-Fraktion die serbischen Kriegstreiber von einst politisch ausschalten zu können. Immer wenn es kritisch wird, stellt sich Plavšić auf die Seite des Karadžić- Lagers. Außer Kalinić bewarben sich auch andere Politiker um das Amt des Parlamentspräsidenten, und rechnerisch wäre es möglich gewesen, den neuen alten Parlamentsvorsitzenden abzuwählen. Plavšić' Partei Serbischer Volksbund hätte zusammen mit den Stimmen der muslimischen und kroatischen Parteien einen ihrer Parteilieblinge, wie etwa den integren Wirtschaftsexperten Mladen Ivanić, durchbringen können. Sie zog es jedoch vor, kein noch so loses Bündnis mit Muslimen und Kroaten einzugehen und statt dessen auf Karadžić' Leute zu bauen. Auch dem Antrag Kalinić', die SFOR-Truppen müßten sofort die Rückgabe der besetzten Fernsehanlagen des Staatsfernsehens SRT einleiten, gab Plavšić nach. Im Oktober vergangenen Jahres hatten UNO-Truppen mehrere SRT- Sendeanlagen, die von Karadžić' Serbischer Demokratischer Partei kontrolliert wurden, gewaltsam besetzt. Diese Aktion erfolgte als Reaktion auf Programme, in denen die SFOR-Truppen mit den nazistischen Hitler-Besatzern verglichen wurden. Karl Gersuny

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen