Generalbundesanwalt spricht PKK vom Terrorismus frei

■ Nach Erkenntnis der Karlsruher Behörde betätigt sich die PKK in Deutschland nicht mehr terroristisch. Zahl der Brandanschläge von 261 auf vier gesunken, Verbot bleibt

Karlsruhe (taz) – Jetzt ist es amtlich. Die Funktionäre der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gelten in der Bundesrepublik nicht mehr als Terroristen. Auf seiner gestrigen Jahrespressekonferenz erklärte Generalbundesanwalt Kay Nehm, die PKK-Führung solle künftig nicht mehr als „terroristische Vereinigung“, sondern nur noch als „kriminelle Vereinigung“ verfolgt werden. An eine derartige Rückstufung vermag sich auch bei der Bundesanwaltschaft (BAW) niemand zu erinnern.

„Wir können derzeit nicht mehr den Nachweis erbringen, daß die PKK in Deutschland Tötungsdelikte und Brandstiftungen plant“, erklärte Nehm die Frontbegradigung. Nach Ansicht der BAW zeige in der PKK die neue Linie Wirkung, die deren Chef Abdullah Öcalan im Vorjahr ausgegeben hatte. Öcalan hatte „Fehler“ eingeräumt und angekündigt, die PKK werde sich künftig an die deutschen Gesetze halten. Die BAW-Statistik weist daher seit August 1996 nur noch vier Anschläge „mit nachgewiesenem PKK-Hintergrund“ aus. Auch diese seien, so Nehm, eher gegen als mit dem Willen der Führung erfolgt. 1995 waren der PKK noch 261 Brandstiftungen zugerechnet worden. Schon im letzten November hatte die Bundesanwaltschaft in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle angekündigt, daß sie sich den neuen Verhältnissen anpassen will.

Die wichtigste Unterscheidung liegt in der Höhe des Strafmaßes. Auf die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ steht eine Höchststrafe von bis zu zehn Jahren, bei der „kriminellen Vereinigung“ liegt die Obergrenze bei fünf Jahren. Direkte Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung früherer Straftaten hat die Kurswende allerdings nicht. Die mutmaßlichen Verantwortlichen der Anschlagswellen von 1993 bis Anfang 1996 werden auch weiterhin wegen Terrorismus verfolgt. Allerdings hatte es im vergangenen Jahr in mehreren Strafprozessen Absprachen zwischen der BAW und den Angeklagten gegeben. Frieden mit der PKK hat der deutsche Staat damit nach wie vor nicht geschlossen. Immer noch gilt das Organisationsverbot von Innenminister Manfred Kanther. Er ließ gestern ausrichten, für das Innenministerium gebe es „keinerlei Anlaß, eine etwaige Aufhebung des Verbotes zu überprüfen“. Das hatte die Türkei befürchtet.

Strafrechtlich wird die PKK-Führung also weiter verfolgt. Neben den Vorwurf der Spendenerpressung bei Landsleuten tritt nun auch der Verdacht systematischer „Kindesentziehungen“. Nach BAW-Angaben geht es um 13- bis 16jährige, die von der PKK gegen den Willen ihrer Eltern in belgische und niederländische Ausbildungslager verbracht wurden. Dort sollen sie zu „Kämpfern“ für die kurdische Sache erzogen werden. Dies erfolge, so die BAW, auch gegen den Willen der Jugendlichen selbst.

Die konkreten Fälle werden dabei allerdings von den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften verfolgt. Die in Karlsruhe sitzende Bundesanwaltschaft kümmert sich nur um die „Führungsstruktur“, also die Europaführung, die Regional- und Gebietsverantwortlichen der PKK. Nach BAW-Angaben sind dies „rund 30 Personen“. Mit Verdruß beobachtet man in Karlsruhe allerdings, daß die PKK ihre Strukturen häufig umorganisiere.

Ermittlungen gegen kriminelle Vereinigungen obliegen im Normalfall den Ländern. Nehm erklärte jedoch, wegen der „besonderen Bedeutung“ der PKK sei er als Generalbundesanwalt auch weiterhin für die Verfolgung ihrer Straftaten zuständig. „Wir sind für die Strafverfolgung nach Recht und Gesetz zuständig, wir machen keine Politik“, betonte er gestern in Karlsruhe. Christian Rath

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