Knabbern an den Verbindlichkeiten

■ Die Berliner Choreogaphin Anna Huber meißelt tänzerisch Beunruhigung. Bei den independancedays zeigt sie zwei Soli zwischen Verständigung und Neubeginn

An das Reden sind wir gewöhnt. So gewöhnt, daß uns die Sprache heimisch vertraut erscheint. Gemeinhin blenden wir aus, daß sie auf einem ausgetüftelten System von Verabredungen gründet. Mit der Sprache des Bühnentanzes ist es nicht viel anders: Der jeweils in Mode stehende Stil beansprucht oft die Illusion einer Wahrheit, einer ungebrochenen Einheit. Seit der Postmoderne arbeiten Choreographen wie William Forsythe an der Auflösung dieser Illusion, an den Brüchen im scheinbar vertrauten Körper, an den Stellen der Beunruhigung.

So auch die Nachwuchschoreographin Anna Huber. Die Tänzerin in ihren frühen Dreißigern erforscht die Vielheit der Körper, die sie an sich vorfindet. Im Dunkel ertastet sie sich ihre Glieder, herausgemeißelt durch eine Bergwerkslaterne an ihrem Kopf. Stück für Stück ersteht dieser Leib auf der Bühne. Doch nicht für lange. An anderer Stelle mißtraut die Choreographin wieder ihrer Arbeit, bricht ab. Raumwechsel. Erneuter Versuch, in einer anderen Stimmung, einem anderen Zustand, Anderes zutage zu fördern.

1989 verließ Anna Huber die Schweiz und zog nach Berlin, auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen. Sie fand die lebendige Szene der künftigen Hauptstadt inspirierend. Und die Lehrer, deren Wege sie kreuzte: Kanuo Ono, Rui Horta, Saburo Teshigawara, Meg Stuart, Susanne Linke. In Frankfurt arbeitete sie mit Vivienne Newport. Mit Mark Tompkins verbanden sie Videoprojekte. Es folgte ein Abstecher nach Wien zu Willi Dorner. Und dann kam ein Engagement ans Stadttheater Cottbus zu Jo Fabian. Hier entstand 1993 ihr kleines erstes Stück, dualLein,. Mit in zwischen räumen erlebte sie dann zwei Jahre später den Durchbruch.

Noch heute ist dieses Solo Teil ihres Programms, so auch während der independancedays auf Kampnagel. Anna Huber sieht den Tanz als „eine immer wieder neu zu erfindende, immer wieder zu hinterfragende Sprache“. Sie knabbert an den Vereinbarungen, durch die Sprache erst kommunikationsfähig wird. Damit begibt sie sich in die Spannung zwischen Neubeginn und Verständigung.

Ihr Solo brief letters von 1997 widmet sich der Kommunikation zwischen Musik und Tanz. Auch hier hinterfragt Huber eine alte Annahme: daß sich die beiden Künste gut ergänzen würden. Bei ihr verpassen sich das elektronische Cello von Sebastian Hilken und der Tanz. So wie ein Brief den Adressaten immer aus der Vergangenheit erreicht, nie in der Gegenwart.

Gabriele Wittmann

Donnerstag, 15. und Samstag, 17. Januar, 19.30 Uhr, Kampnagel k2