Musterknabe des kleinen Glückes

Stefan Otteni hat Goethes „Clavigo“ im Maxim Gorki Theater inszeniert. Der Mann, der alles will und nichts entscheiden kann – hier sitzt er am Computer und balzt mit rosa Rosen. Ein Stück von uns wird nicht daraus  ■ Von Petra Kohse

„Don't cry – work“ steht auf irgendeiner Wand der schicken Fabriketage, die Goethes Clavigo im Maxim Gorki Theater bewohnt. Gerade wie auf der Rückseite von „Irre“ von Rainald Goetz, der im Programmheft außerdem als Musikmacher genannt wird. Und tatsächlich könnte sich des spanischen Jünglings Problem von vor über 200 Jahren auch einem heutigen Metropolenbewohner noch stellen. Ist es schlimmer, auf eine abgebrochene Karriere zurückzublicken oder auf eine abgebrochene Beziehung? Oder anders formuliert: Wie lange kann einer andere für sich entscheiden lassen, ohne eine Tracht Prügel zu bekommen? (Letzte Fragen.)

Ja, dazu kommt es am Ende wirklich, und dabei gehört es offenbar zum Konzept, daß der Darsteller des Beaumarchais (Robert Lohr) dem des Clavigo (Frank Seppeler) immerzu „Stirb! Stirb!“ zuruft, während er ihn quer über die Bühne hetzt und dabei zurichtet, wie es ein Elchmörder dem anderen nicht schlimmer antun täte.

„Clavigo“ also, und Clavigo ist schwach. Ein Ehrgeizling unter dem Einfluß seines Freundes Carlos, aber momentweise auch wieder ein Musterknabe des kleinen Glückes und willig, zur verlassenen Marie zurückzukehren, zumal ihm deren zornig aus Paris angereister Bruder Beaumarchais andernfalls die Karriere zu ruinieren droht. Und über allem hängt bleischwer der Ehrbegriff.

Den es in der Form im heutigen Berlin natürlich nicht gibt, weswegen sich einer (ein Schauspieler) in die Hin- und Hergerissenheit Clavigos richtig reinlegen müßte, mit bezwingendem Selbstmitleid und intelligenter Skrupellosigkeit oder so, damit es ein Stück von uns würde. Dazu aber gibt Frank Seppeler seine Blässe nicht her, und dazu ist auch sonst nichts disponiert in der Inszenierung von Stefan Otteni (seiner zweiten in Berlin nach „Limonen aus Sizilien“ in der Volksbühne). Vielmehr drängt alles ins Gesellschaftsstück, mit einem Punchingball im Loft (Bühne: Franz Lehr), einer Orangensaft pressenden, spanisch sprechenden Bediensteten (Dolores Sánchez), einem Computerarbeitsplatz und „Der Soundso-Bürodrehstuhl von Clavigo wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt von...“.

In dieser ungefähren Weise wird auch gespielt. Mal juchzt Clavigo im Samtanzug hell auf und spielt zu Chill-out-Techno mit Carlos Haschmichhintermvorhang, dann wieder gibt es zerquälte Konversationsszenen oder biedermeierliches Herzeleid mit und bei den Schwestern Beaumarchais (Franca Kastein und Bettina Lohmeyer). Und Thomas Schmidt als Carlos müht sich unfroh, so etwas wie eine komische Figur zu sein.

Das Ganze findet keinen Ton und keinen Rhythmus, fügt sich zu nichts als Szene an Szene, hat weder innere Logik noch das Gegenteil davon. Einmal fährt ein Gabelstapler Kisten auf die Bühne und holt sie nachher wieder ab, Clavigos Haushälterin räumt angeblich benutzte Gläser in Kartons, und alle sprechen unter Druck, ohne daß man erfährt warum.

Kurz, es ist ungenau und interessiert gar nicht. Lichttechnisch wird ab und zu eine Krimiatmosphäre angedeutet, und da ist dann wirklich so ein Prickeln, als ob Otteni die Sache als Psychogeschichte zwischen Clavigo und Carlos hätte anpacken können, aber was weiß ich. So jedenfalls wird voller Ernst die Geschichte von einem erzählt, der glaubt, mit einem Strauß rosa Rosen in der Hand von Liebe sprechen zu können. (Don't cry – work.)

Nächste Vorstellungen: 16., 21., 29.1., 19.30 Uhr, MGT