Reden ist Silber

■ Schweigen ist Gold: Zum Auftakt der öffentlichen Diskussionen über die vier prämierten Entwürfe für das Holocaust-Mahnmal im Berliner Marstall – weniger wäre mehr gewesen

Über mangelndes Interesse konnten sie sich nicht beklagen, die Organisatoren des ersten Publikumsgesprächs zum Holocaust- Mahnmal am Dienstag abend in der Galerie am Marstall. Immer wieder zauberten Helfer neue Stühle hervor, trotzdem blieb vielen am Ende nichts anderes übrig, als die von Deutschlandradio-Intendant Ernst Elitz moderierte Diskussion mit Peter Eisenman, Richard Serra und dem Eisenman-Vertrauten Kurt Forster von der ETH Zürich im Stehen zu verfolgen.

Eines war klar nach dem ersten Wettbewerb zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas: Ein solches Debakel sollte nicht noch einmal passieren. Also änderte man das Procedere, veranstaltete zunächst drei Kolloquien, bei denen Dutzende von internationalen Experten ihre Kritik an Plan und Vorgehensweise vorbrachten. Dann wurden zu den acht Preisträgern des ersten Wettbewerbs, die ihre Entwürfe überarbeiten sollten, neunzehn weitere Künstler eingeladen. Anstelle der Jury sollte eine sogenannte Findungskommission, bestehend aus dem Historiker James E. Young, dem Architekten Josef Paul Kleinhues sowie Werner Hofmann (ehemaliger Direktor der Hamburger Kunsthalle), Dieter Ronte (Kunstmuseum Bonn) und Christoph Stölz (Deutsches Historisches Museum Berlin), ihre Empfehlung abgeben – was sich im übrigen insofern als halbherzig herausstellte, als zu den beiden von der Kommission ausgewählten Arbeiten auf Betreiben der Auslober des Wettbewerbs, des Bundes, des Landes Berlin und des Fördervereins um die Journalistin Lea Rosh, in letzter Minute zwei zusätzliche Mahnmalsentwürfe (die von Jochen Gerz und Daniel Libeskind) in die engere Auswahl kamen.

Die Diskussionen, die nun bei Serra und Eisenman begannen und am morgigen Abend mit der Befragung der Architektin Gesine Weinmiller fortgesetzt werden, spielen bei der Entscheidungsfindung zumindest konstitutionell keine Rolle. Wer das Mahnmal, für das „spätestens im Januar 1999“ der Grundstein gelegt werden soll, letztendlich baut, das wird unabhängig von den Ergebnissen der Gespräche in den nächsten Wochen wieder hinter verschlossenen Türen verhandelt. Doch die Gründe, über das eigentliche Vorgehen hinaus öffentliche Podiumsgespräche anzubieten, waren offenbar ohnehin andere. Vielleicht wollten die Auslober – und sei es nur ideell – ein wenig Verantwortung abgeben. Vielleicht sollte den Anwesenden im Auditorium aber auch nur das Gefühl vermittelt werden, daß sie, wenn sie schon nicht gefragt wurden, so doch immerhin etwas zu sagen haben, so folgenlos das auch bleiben würde.

Zuerst richtete Moderator Elitz das Wort an Eisenman und Serra, die ihren bereits in der Ausstellung nebenan hinlänglich erklärten Entwurf – sie planen ein Feld mit viertausend unterschiedlich hohen Betonpfeilern, die in einem rechteckigen Raster angeordnet werden (ein ausführliches Interview mit Serra und Eisenman folgt in den nächsten Tagen) – noch einmal erläutern sollten. Peter Eisenman, der New Yorker Star-Architekt, der Richard Serra zur Mitarbeit animiert hatte, weil „ich ihn für einen der größten zeitgenössischen Künstler halte“, machte den Anfang. Seine launige Einführung, in der er auf seine vergeblichen Versuche, Deutsch zu lernen, einging, bewies einmal mehr, daß das, was gemeinhin als typisch amerikanischer Small talk abqualifiziert wird, eine durchaus ernstzunehmende rhetorische Figur sein kann. Die angespannte Atmosphäre im Raum lockerte sich jedoch nur für kurze Zeit. Eisenman und Serra war deutlich anzumerken, wie unangenehm sie die Situation des Abgefragt-Werdens empfanden.

Wer wollte ihnen daraus einen Vorwurf drehen, sie hatten das alles im kleinen Kreis schon einmal durchgemacht. An ihnen lag es sicher nicht, daß die anschließende Diskussion auf streckenweise erbärmlichem Niveau verlief.

Natürlich ist die Beschäftigung mit dem Holocaust – beziehungsweise dem Gedenken daran – ein Thema, das schnell vor allem Emotionen freisetzt. Aber es hatte Quälendes, mitzuerleben, wie in den folgenden reichlichen eineinhalb Stunden ein Bedenkenträger nach dem anderen aufstand, um seine „persönlichen Empfindungen“ zu schildern. Da war der Mann, der sich als Kunsthistoriker vorstellte, den Entwurf erst (zu Recht) lobte, um dann zu bemängeln, die beiden Amerikaner hätten vergessen, einen Ort einzuplanen, an dem die Besucher des Mahnmals einander ihre Erlebnisse mitteilen könnten.

Auch generelle Einwände waren zu hören, zum wievielten Mal eigentlich? Tilman Buddensieg, auch Kunsthistoriker, stellte den Standort des Mahnmals in Frage, ein anderer zog die logische Konsequenz und forderte einen neuen Wettbewerb. Das wäre dann der dritte und der nächste Schritt in die Vervollkommnung der Handlungsunfähigkeit. Ein Architekturstudent dagegen nahm's von der praktischen Seite: „Was tun Sie, wenn jemand auf dem Gelände eine Herzattacke erleidet?“ Immerhin: Allgemeines Stöhnen quittierte die Bemerkung. Und doch ging es weiter im gleichen Stil. Eine junge Mutter kehrte ihr Innerstes nach außen und konfrontierte Serra und Eisenman mit der Bemerkung, ihre achtjährige Tochter hätte bei Ansicht des Modells angekündigt, sie wolle dorthin nicht gehen. Der Entwurf, beschied sie den um Fassung ringenden Gästen, habe „zu wenig Herz“.

So wurde an diesem Abend im besonderen eines deutlich. Es gibt Momente, in denen das Recht auf Diskussion noch keinen Wert an sich darstellt. Ulrich Clewing