Auf Kurs mit Little Stevie

■ Ramstein ist überall: Im Internet üben Hobbypiloten den Formationsflug, gemeinsame Loopings und Landeanflüge

Flug 017 der tazair verlief ruhig an diesem Morgen. Probleme waren nicht zu erwarten, lediglich ein leichter Südwestwind erzwang eine kleine Korrektur des Steuerkurses. Auf dem Michigansee waren ein paar Segelboote zu erkennen, und beim Anflug nach den Visual Flight Rules, den Sichtflugregeln, ist der Sears Tower immer ein guter Orientierungspunkt. Höchste Zeit für den Queranflug: Eine Linkskurve von 30 Grad bringt die Cessna auf Steuerkurs 270 (West), direkt in Richtung des Wolkenkratzers und damit genau im rechten Winkel zu Runway 18 des Meigs Air Field in Chicago, dem Ziel dieses Fluges. Ein Blick nach hinten zeigt, daß die Maschine des jungen Piloten aus New York immer noch in respektvollem Abstand folgt und nun ebenfalls den Landeanflug eingeleitet hat.

Der Endanflug auf Runway 18 ist reine Routine, das habe ich schon hundertmal gemacht. Ein 90-Grad-Schwenk nach links im richtigen Moment bringt die Kiste exakt auf Landekurs. Meigs Air Field liegt auf einer Halbinsel im Michigansee, die einzige Start- und Landebahn verläuft exakt in Nordsüdrichtung. Deshalb ist dieser Flugplatz bei Anfängern so beliebt; man erkennt ihn schon von weitem, und man kann ihn einfach nach Kompaß und Sicht anfliegen.

Anfänger sind oft geneigt, beim Landeanflug die Nase des Flugzeugs nach unten zu drücken. Manöver dieser Art haben aber mitunter fatale Folgen, und man kann sich dabei leicht den Anzug versauen. Man fliegt die Maschine nicht in den Boden! Das wäre exakt das Gegenteil einer weichen und sicheren Landung.

Der junge Mann hinter mir schien das noch nicht so recht begriffen zu haben, Little Stevie kam schnell näher und war eigentlich schon viel zu tief. Ich sah das Unheil vor mir, aber der Griff zum Funkgerät rettete die Situation. „Zieh die Kiste hoch“, hab' ich ihm gesagt, auf eine gesunde Höhe, und dann machen wir eine saubere Landung! Mit einem Jet wäre es das jetzt gewesen, aber die Cessna verzeiht den Fehler. Ein legendäres Flugzeug. Die „Skylane 182 RG“ hat ein einziehbares Fahrwerk, und jetzt ist der richtige Moment, es auszufahren und Gas wegzunehmen. Die Maschine sinkt dann von alleine. Je nach Geschwindigkeit, Höhe und der am Variometer abgelesenen Sinkrate kann man noch die Flaps, die Landeklappen, bis zur ersten oder zweiten Stufe ausfahren. Eine Sinkrate von 500 bis 600 Fuß pro Minute ist wunderbar. Mehr hätte eine harte Landung zur Folge. Man muß es einfach so einrichten, daß man die Schwelle der Landebahn in knapper Höhe überfliegt und in den Horizontalflug übergeht. Dann in den Leerlauf schalten und die Nase leicht hochziehen, um mit dem Hauptfahrwerk zuerst aufzusetzen. Sobald auch das Bugrad Bodenkontakt hat, die Klappen wieder einziehen, sonst fängt die Cessna an zu hüpfen. Außerdem: bremsen, bremsen und noch mal bremsen. Und vor allem darauf hoffen, daß einem der Hintermann nicht draufknallt.

Aber das hat er prima hingekriegt, der junge New Yorker, der bei den Fliegern der Internet Gaming Zone (www.zone.com) das „Game 17“ angeklickt hat, das ich belegt hatte. Eigentlich wollte ich nur mal schauen, ob ich mit jemand ein paar Runden drehen kann. Das macht mehr Spaß, da ergibt sich immer die Gelegenheit zu einem Chat, einer netten Unterhaltung zwischendurch. Ein „Passagier“, also jemand, der nicht selbst fliegt und sich das nur mal anschauen will, war auch willkommen. Aber dann kam Little Stevie mit seiner klapprigen Cessna aus der Vorgängerversion und meinte, daß er noch nicht so viel Erfahrung habe und es ganz hilfreich finde, wenn mal jemand mit ihm fliegt. Aber nur zu zweit, kürzlich ist er mit acht Piloten im Konvoi geflogen, da ging alles durcheinander, und am Ende hat niemand mehr durchgeblickt. Einen korrekten Landeanflug wollte er üben, richtig nach Vorschrift. Der Anflug auf Hongkong mit der Boeing 737-400, den ich vorschlug, ist in der Abenddämmerung ein grandioses Erlebnis, aber auch eine echte Herausforderung. Also doch lieber die Cessna und Meigs Air Field, die Heimat aller „Simheads“, wie die Simulatorfans heißen.

Die 98er Version des „Microsoft Flight Simulator“ geht hart an die Grenze des technisch Machbaren, auch an die des Internets. Die CD enthält über dreitausend Flugplätze. So ist es jetzt ohne zusätzliche „Szeneriepakete“ möglich, von Berlin-Tegel nach Schönefeld mit Zwischenlandung in Tempelhof zu fliegen und sich dabei das Brandenburger Tor und den Alexanderplatz von oben anzuschauen. Das taz-Gebäude ist nur inmitten einer vom Zufallsgenerator erzeugten grauen Textur zu erahnen, trotz grüner Fahne auf dem Dach. Aber den Fußballplatz schräg gegenüber meiner Wohnung kann ich genau erkennen, den Friedhof leider nicht.

Richtig Spaß macht es aber erst mit den neuen, leistungsstarken Rechnern. Nur ist die Gaming Zone vorerst noch aus „technischen Gründen“ für Netscape- User gesperrt und nur für den Explorer zugänglich. Der Browserkrieg ist überall.

Bill Gates hat gesagt daß er dieses Problem „noch im Januar“ beheben will, und die Simheads schreckt das alles sowieso nicht. Sie werden nur ein bißchen sauer, wenn man das meistverkaufte Computerspiel aller Zeiten einfach nur ein „Spiel“ nennt. Außenstehende werden niemals verstehen, wie jemand Stunde um Stunde mit einem Transatlantikflug verbringt, zwischendurch den Autopiloten einschaltet, ins Kino geht und danach immer noch fast dieselbe Szenerie vorfindet.

Für die echten Freaks gibt es längst spezielles Zubehör: Pedale, Steuerknüppel und seit neuestem auch einen Joystick, der Seitenwind und Turbulenzen spüren läßt. Die neue Version ist realistischer als je zuvor, aber schon zu DOS- Zeiten waren gemeinsame Flüge zu zweit möglich. Eine Netzwerk-, Kabel- oder Modemverbindung reichte dazu aus. Aber das Internet eröffnet völlig neue Dimensionen: virtuelle Airlines, spezielle Websites mit ladbaren Flugzeugen und Landschaften. Und in der Gaming Zone warten zu jeder Uhrzeit erfahrene Piloten und Anfänger darauf, mit anderen zu starten. Landschaften und Fluggeräte werden nicht über das Netz übertragen, dazu reichen die Bandbreiten nicht aus. Der Simulator wird vom lokalen Rechner geladen, übertragen werden nur die Parameter der anderen Flugzeuge, wie Typ und Farbe, Position, Höhe, Geschwindigkeit und Kurs. Das geht recht flott, bei einer guten Verbindung gibt es kaum Wartezeiten.

Wer die Gaming Zone zum ersten Mal besucht, muß ein Anmeldeformular ausfüllen mit User- und Realname, E-Mail- und Postadresse und Paßwort. Das ist durchaus ernst gemeint, die E- Mail-Adresse wird überprüft. Schließlich gibt es noch ein paar andere Spiele, die zum Teil kostenpflichtig sind. Auf Werbemail kann jedoch ausdrücklich verzichtet werden.

Nun werden ein paar Dateien geladen und gleich installiert – schon wartet die Zone auf dich. Acht Mitflieger pro Flug sind möglich. Wer zuerst eine leere Flugnummer belegt, ist Gastgeber, „Host“. Wer sich damit nicht zurechtfindet, braucht sich nicht davor zu scheuen, andere per Chat um Hilfe zu bitten. Wie im realen Leben sind Piloten nette Menschen, und auch hier gilt der Grundsatz, daß es keine dummen Fragen gibt, sondern nur dumme Antworten.

Simheads sind keine Fighter. Es geht niemals darum, andere unsanft vom Himmel zu holen. Witzbolde und Rüpel gibt es natürlich auch hier, aber dann kann man immer noch die „Crash Detection“, die Absturzerkennung, auf unfreiwilligen Bodenkontakt beschränken oder ganz abschalten. Bei den gemeinsamen Kunstflugübungen und Formationsflügen mit geringem Abstand ist das ohnehin besser. Wenn Andy, Flashme, Bucho, Blue Falcon und andere, die hier ständig anwesend sind, ihre Loopings drehen, wird einem schon vom Zuschauen aus der Cockpit- Perspektive ganz blümerant.

Doch auch die Abstürze sind virtuell. Wenn es passiert, wird eben neu gestartet. Und so kam es, daß ich kürzlich einen Anruf eines befreundeten Simheads erhielt, der in eine andere Stadt verzogen war: „Komm, laß uns in der Zone treffen. Laß uns Ramstein spielen.“ Dieter Grönling

dieter@taz.de