Leise Wut der Betrogenen

Heute wird der Präsident Montenegros vereidigt. Die angekündigten Massendemos seines Gegners sind ausgeblieben  ■ Von Gregor Mayer

Podgorica (taz) – Die Sicherheitsvorkehrungen in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica sind in diesen Tagen enorm. Hunderte von Bereitschaftspolizisten haben die wenigen Hotels in Beschlag genommen. Die Telefonleitungen sind weitgehend lahmgelegt. Düstere Gerüchte von „bewaffneten Provokationen“ machen die Runde.

Seit letzten Montag haben sich Hunderte Anhänger des scheidenden Republikspräsidenten Momir Bulatović vor dem Parlamentsgebäude zu einer Dauerdemonstration eingefunden, um gegen die heute geplante Amtseinführung des im Oktober gewählten Präsidenten Milo Djukanović zu protestieren. Am Abend wuchs die Menge jeweils auf bis zu 3.000 Personen an, doch selbst in der orthodoxen Silvesternacht kam es nicht zu den erwarteten Ausschreitungen.

Der 35jährige Djukanović, der sich vom großserbischen Patrioten, dann zum liberalen Reformer und Gegner des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević wandelte, hatte sich bei der Stichwahl knapp gegen den Milošević-Protegé Bulatović durchgesetzt. Dieser hatte zunächst seine Niederlage anerkannt, dann aber auf Weisung aus Belgrad „Wahlbetrug“ reklamiert. Internationale Beobachter hatten den Urnengang als weitgehend fair eingestuft.

Doch Bulatović wollte sich mit dem Sieg des Gegners nicht abfinden und rief zu Massenkundgebungen auf. Er stellte sich seine „Meetings der Wahrheit“ nach dem Muster jener Massenveranstaltungen vor, mit denen Milošević Ende der 80er Jahre in Serbien und Montenegro die Macht an sich gerissen hatte. Die großen Proteste blieben aus. Gekommen war nur jenes, aus Modernisierungsverlierern rekrutierte, Publikum, das sich in ganz Osteuropa von populistischen Bewegungen angezogen fühlt. „Milo Djukanović hat das Volk bestohlen“, meint die 33jährige Druckereiangestellte Slobodanka. „Die Fabriken werden verkauft, niemand hat Arbeit.“ Auch der 21jährige Literaturstudent Srdjan Kostić läßt am neuen Präsidenten kein gutes Haar. „Die Djukanović-Leute nutzen die Krise aus und reißen sich die Betriebe billig unter den Nagel“, sagt er.

Tatsächlich brachte Djukanović, der in den letzten vier Jahren als Ministerpräsident die Zügel in der Hand hatte, sanft, aber straff alles unter seine Kontrolle, insbesondere die Polizei und die Medien. Mit Wirtschaftsreformen will er die Republik öffnen. Da der angekündigte Druck des Bulatović- Lagers ausblieb, dürfte ihm das jetzt um so leichter fallen. Zumal Milošević Bulatović zuletzt nur noch halbherzig unterstützte. Ein Grund ist, daß sich der Westen nachhaltig für eine geregelte Amtseinführung von Djukanović stark macht. Die Besuche des US- Balkan-Sondergesandten Robert Gelbard am vergangenen Montag in Podgorica und zwei Tage später in Belgrad machten das noch einmal klar. Aber auch die Führung der jugoslawischen Armee, Miloševićs letztes unmittelbares Machtinstrument in Montenegro, gab zu erkennen, daß sie sich nicht zu engagieren gedenkt. „Der Kosovo ist ihr viel wichtiger“, hieß es in einer Analyse der Belgrader Tageszeitung Nasa borba. In der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz kommt es seit einiger Zeit wieder regelmäßig zu blutigen Zusammenstößen zwischen Albanern und der serbischen Polizei.

Schließlich dürfte auch Bulatović den Realitätsbezug verloren haben: Seinem Paten gaukelte er vor, 100.000 Menschen mobilisieren zu können. Da ist es nur logisch, daß Milošević seinen talentlosen Günstling untergehen ließ.

Das 615.000-Einwohner-Land droht sich nun völlig Milošević' Kontrolle zu entziehen und wird dem jugoslawischen Präsidenten neue Probleme bereiten. Durch die Abberufung Bulatović-treuer Abgeordneter aus den Bundesorganen kann Djukanović verhindern, daß sich Milošević über die Änderung der Bundesverfassung jene Macht sichert, die er formal nicht hat. Allerdings ist zu erwarten, daß Milošević, wenn es ans Eingemachte geht, die Djukanović-Delegierten ausschließen läßt. „Bei ihm ist alles möglich“, meint Danilo Burzan, Chefredakteur der unabhängigen Agentur Montenafax“, „Recht und Gesetz zählen nicht.“