Ungarn stürzt sich in Stausee

Die ungarischen Kommunisten bauen den Donau-Staudamm nun doch, obwohl sie schon einmal darüber gestürzt waren. Die Donauauen trocknen bereits aus  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Ungarns regierende Ex-Kommunisten wollen den berüchtigten Staudamm Nagymaros doch noch bauen – zehn Jahre nachdem das Projekt das Ende der kommunistischen Diktatur eingeläutet hatte. Unter anderem Namen und einige Kilometer entfernt vom ursprünglichen Ort soll das 1989 auf Druck der ungarischen Umweltschutzbewegung abgebrochene Projekt durchgeführt werden. Ein entsprechendes Vorhaben gab eine ungarische Regierungskommission am Dienstag bekannt.

Im Hintergrund dieses Planes steht der Staudammstreit zwischen der Slowakei und Ungarn. Ungarn hatte das 1977 geplante Großprojekt 1989 abgebrochen. Die Slowakei benötigt jedoch einen Staudamm auf ungarischer Seite, damit das Wasserkraftwerk Gabčikovo, für das die Donau umgeleitet wurde, auf Hochtouren laufen kann und die von ihm verursachten Flutwellen abfängt. In dem Staudammstreit hatten beide Länder vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegeneinander geklagt. Die Slowakei hatte von Ungarn eine Entschädigung oder eine Neubeteiligung am Projekt gefordert. Die beiden Länder waren nach dem Urteil von Ende September vergangenen Jahres von den Den Haager Richtern aufgefordert worden, binnen sechs Monaten eine gemeinsame Lösung im Staudammstreit zu finden.

Geheimverhandlungen zwischen der Slowakei und Ungarn um neue Staudammpläne fanden allerdings schon vor über einem Jahr statt. Bereits damals befürchteten Umweltschützer und Oppositionspolitiker, daß die beiden Länder sich gegen die Umwelt einigen würden. Nun ist genau das eingetreten. Mehr noch: Ungarns Ex-Kommunisten wollen die alten Pläne, an denen ihre Vorgänger 1989 gescheitert waren, fast in der ursprünglichen Form verwirklichen: Statt in Nagymaros, eine halbe Autostunde nördlich von Budapest gelegen, soll der Staudamm donauaufwärts gebaut werden, und zwar im acht Kilometer entfernten Pilismarót. Und auch in seiner Größe soll er dem einst für Nagymaros geplanten nur wenig nachstehen. Nagymaros komme nur deshalb nicht in Frage, hatte der ungarische Ministerpräsident Gyula Horn bereits früher gesagt, weil es „politisch zu sensibel“ sei.

Angeblich soll sich Horn in die zwischen der Slowakei und Ungarn laufenden Verhandlungen am Montag persönlich eingeschaltet haben, um diese zu einem Ergebnis zu bringen. Die Vertreter der slowakisch-ungarischen Verhandlungskommission versuchten am Dienstag vor der Presse zwar den Eindruck zu erwecken, die Einigung sei ein überraschender Durchbruch in den Gesprächen gewesen. Doch tatsächlich scheinen die Pläne für den Staudammbau längst weit fortgeschritten zu sein. Die ungarische Regierung soll nach Informationen der Tageszeitung Népszabadság (Die Volksfreiheit) bereits um eine Konzessionsvergabe für den Bau nachdenken. Die Kosten des Staudammes werden auf zwei bis drei Milliarden Dollar geschätzt. In zehn Jahren soll er fertig sein. Von slowakischer Seite verlautete, dies sei die einzig akzeptable Lösung. Die Slowakei hofft, daß eine konkrete Vereinbarung mit Ungarn noch im Februar zustande kommt.

Als „Kniefall und Kapitulation“ vor der slowakischen Politik und „Katastrophe für die Umwelt“ bezeichnet der prominente ungarische Umweltschützer János Vargha die Einigung zwischen der Slowakei und Ungarn. Er weist darauf hin, daß die beiden Länder in dem Den Haager Urteil ausdrücklich dazu verpflichtet worden seien, eine ökologisch verträgliche Lösung zu finden. Die ist jedoch schon jetzt nicht gewährleistet.

Seitdem die Donau umgeleitet wurde, beginnen die Donauauen in dem Gebiet zwischen Bratislava und Budapest sichtbar auszutrocknen. Andere Folgen sind noch nicht sichtbar, aber dennoch abschätzbar: So könnte es zu einem starken Absinken des Grundwasserspiegels in der gesamten Region kommen – Grundwasser, von dem Hunderttausende Menschen leben und abhängig sind.

Gegenüber der Öffentlichkeit beschworen die slowakischen und ungarischen Verhandlungsführer bisher zwar immer wieder die ökologische Verträglichkeit einer möglichen Lösung. Mehr als solche vagen Aussagen waren allerdings nicht zu hören. So etwa war von eine erhöhten Wasserzufuhr für das alte Donauflußbett bisher nicht die Rede.

Ungarische Umweltschützer kritisieren nun vor allem, daß die Horn-Regierung sich für den Bau des Staudammes in Pilismarót an einer Befragung des Parlaments und einem Konsens aller Parlamentsparteien vorbeimogeln will. Zwar ist die Haltung der kleineren Koalitionspartei, der liberalen Freidemokraten, noch unklar. Die Oppositionsparteien sprechen sich jedoch gegen den Bau eines neuen Staudammes aus.

Falls die Horn-Regierung ihre Pläne nicht ändert, wollen die ungarischen Umweltschützer wieder wie einst schon Ende der achtziger Jahre mobilmachen. János Vargha hofft auch darauf, daß das Thema im demnächst beginnenden Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Mai eine Rolle spielen wird. „Horn sollte nicht vergessen, daß wir schon einmal ein Staudammprojekt zu Fall gebracht haben.“