■ Seine Fangemeinde feiert ihn längst als modernen Che Guevara: Subcomandante Marcos, Held der Zapatisten. Die faszinierte Öffentlichkeit kennt ihn ausschließlich maskiert. Leider Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid: Die sprechende Skimütze
Am Morgen nach dem Sylvester-Coup der Zapatisten 1994 fiel Beobachtern in der aufgeregten Menge in San Cristóbal de las Casas ein außergewöhnlich höflicher und offensichtlich gutgelaunter Guerillero auf. Als man ihn nach seinem Namen fragte, antwortete der Mann eher zögerlich: „Marcos... Ja, Marcos.“ Seitdem ist der Subcomandante zur Symbolfigur der indigenen Bewegung schlechthin geworden.
We all need heroes“, schrieb die Drehbuchautorin Anne Moore aus Los Angeles dem Subcomandante auf die Skriptkopie, die sie ihm zur Durchsicht in den Dschungel brachte, „thank you for being one.“ Er sei ein „höchst erstaunlicher Mann“, sagt sie und ihre Augen funkeln. Wer ist dieser ominöse Marcos nun, der seit vier Jahren von sich und den Indios reden macht? – Schwer zu sagen. Seine VerehrerInnen, also auch ich, nennen ihn mit einer gewissen Zärtlichkeit den „Sub“.
Zunächst mal: Marcos gibt es eigentlich nicht. Er erinnert uns an uns selbst: an Kinderphantasien von Heldengestalten, ans Aufbegehren gegen das So-Sein dieser Welt. Und daran, daß Revolte schön sein kann. – Kein Ghostwriter steckt hinter seinen Schriften, auch nicht die Regierung oder gar ein wortgewandtes Redakteurskollektiv. Es gibt schon einen aus Fleisch und Blut, der seit Jahr und Tag im tiefsten Dschungel sitzt und auf seinem Laptop schreibt wie ein Besessener, hinaus in alle Welt. Einer, der früher mal einen zivilen Namen hatte, Kurse an der Uni gegeben hat und irgendwann abgetaucht ist.
Heute ist Marcos längst etwas anderes: eine sprechende Skimütze, deren schräger Charme selbst Skeptiker und eingefleischte Pazifisten in Bann gezogen hat. Schon in jenen ersten Januarwochen 1994 gewannen die Aufständischen, obgleich militärisch hoffnungslos unterlegen, dank Marcos eine entscheidende Schlacht: die um die öffentliche Meinung. Heerscharen von Reportern aus aller Welt bemühten sich, die maskierten Anführer der Revolte vor Mikrophone und Kameras zu bekommen. Und der Subcomandante nutzte die Neugier der Medien. Als „Übersetzer zwischen Maya und Moderne“ erläuterte er in Hunderten von Interviews die Beweggründe des indigenen Aufstands.
Mittlerweile hat ihm Madame Mitterrand ihre Aufwartung gemacht, auch Régis Debray war zu Besuch und sogar Oliver Stone, just in der Oscar-Nacht. Eduardo Galeano und Carlos Fuentes zählen zu seinen Brieffreunden, ganze Schulklassen, Gewerkschafter und Frauengruppen schreiben ihm, Intellektuelle und Anarchos aus aller Welt treffen sich mit dem Sub am nächtlichen Lagerfeuer. Natürlich ist er auch zum Fetisch geworden: Nicht nur auf T-Shirts, Titelseiten und Häuserwänden, auch auf Feuerzeugen und Flaschenöffnern ist Marcos präsent. – Die indigenen Protagonisten der Revolte werden kaum noch erwähnt.
Die Zahl der Texte aus der Feder des Sub dürfte inzwischen in die Tausende gehen, die meisten wurden zuerst von der mexikanischen Tageszeitung La Jornada abgedruckt, viele davon sind inzwischen übersetzt. Neben der Waffen- also vor allem eine Art Wortergreifung: Vielschreiberei als Waffe gegen die Arroganz der Macht – und gegen die eigene Ohnmacht; Selbstironie als Waffe gegen den eigenen Hang zum Pathos – und gegen das Kultbegehren der Fans.
Der Sogwirkung seiner Kommuniqués und paradoxen Reden, der skurrilen Nachsätze und sarkastischen Presseerklärungen können sich nur wenige entziehen – trotz Kitsch und Spuren von Agitprop, trotz des schwerverdaulichen Märtyrer- Jargons und manch deftiger Macho-Sentenz. So hatte Marcos beispielsweise bei einer Leserumfrage von La Jornada als Lieblingsressort „die Leserbriefseite und die nackten Frauen“ angegeben – und prompt einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
Nach seinem eigenem Bekunden ist diese Schreibe das Produkt eines mehrfachen Kulturschocks. Zunächst war da, Anfang der achtziger Jahre, die Begegnung zwischen den städtischen Guerilleros mit der fremden indigenen Welt. In einem jahrelangen Prozeß der gegenseitigen Annäherung seien die „zutiefst autoritären“ Schemata der Städter ins Wanken geraten. Der nächste Schock erwartete die gewandelten Guerilleros dann bei ihrem Coming-out, als sie auf eine „überraschende Zivilgesellschaft“ stießen. Aus diesen Begegnungen entstand dann das, was heute oftmals Neozapatismus genannt und als „anti-avantgardistisch, anti-autoritär und anti-ideologisch“ umschrieben wird. Aber: „Der Zapatismus existiert eigentlich gar nicht“, schrieb Marcos einmal, „er dient nur wie eine Brücke dazu, von einer Seite zur anderen zu kommen.“ Neben den fremd-schönen Fabeln aus der Maya-Mythologie und den Gänsehaut-Klassikern (Wer muß um Verzeihung bitten?“, als Antwort auf das Amnestie-Angebot des Präsidenten, vom Januar 1994) ist mir der PS.-Poet am liebsten. Seine schrägen, oft verschachtelten Texte und Geschichten, die meist als Postskriptum an reguläre Kommuniqués angehängt sind.
Darin ist zum Beispiel die Rede von der unmöglichen Liebe zwischen Jolmash, dem affengesichtigen Einsiedler, und einer unbekannten Badenixe. Aus seiner dunklen Höhle schreibt das Affengesicht seiner Angebeteten überaus wollüstige Briefe und fleht sie an, mit ihm „die Wege der Lippen und des Geschlechts“ zu erkunden.
Mitunter geht es entschieden knapper zu. So in einer Presseerklärung als Antwort auf eine Ankündigung des Innenministeriums über bevorstehende Truppenmanöver: Ein einziges „Uyuy!“ steht da geschrieben, in großen Lettern gedruckt. Oder in einem der jüngeren Kommuniqués an die „Señora Zivilgesellschaft“, die sich seit längerem nicht mehr so recht für den Südosten zu interessieren scheint. „Hallo, Hallo“, heißt es da „dies ist ist eine Probe, eins, zwei, drei, hallo, hallo.“ Ende. Nichts weiter. Eine Sprechprobe eben. Prägnanter läßt es sich kaum formulieren.
Es sind diese kleinen absurden Texte, für den man ihm all das agitatorische Pathos und selbst die Macho-Attitüde verzeihen möchte. Weil er, postmodern hin oder her, noch immer auf etwas scheinbar Vorsintflutliches zu vertrauen scheint: auf den (Aber-) Witz der Worte. Und darauf, daß Worte Sinn machen können, sinnlich sind und zuweilen berühren, vom Kopf über die Lachmuskeln bis in die Zehenspitzen. Und seit wann ist Zeitunglesen schon eine sinnliche Angelegenheit? Oder gar die Lektüre revolutionärer Texte? Ein Schweizer Autonomer brachte es, nach seinem Marcos-T-Shirt befragt, auf den Punkt: Marcos sei der beste Beweis dafür, „daß wir als Asketenhaufen schon mal gar keine Chance haben.“
In Frankreich hat man bekanntlich Sinn für revolutionären Charme. So sieht Régis Debray im Sub gar den „besten, modernsten, freiesten und scharfsinnigsten Schriftsteller des heutigen Lateinamerikas“. Im Unterschied zu all jenen Revolutionären, die „ihr ICH immer auf den Altären der Sache des Volkes opfern mußten“, lege Marcos eine „unverhohlene Subjektivität“ an den Tag. Im humorlosen Deutschland hat man dagegen weniger übrig für derlei Traumgestalten: So entlarvt der Ex-68er Bernd Rabehl den Sub in der FAZ voller Häme als einen Hampelmann, der sich „als Guerillero, Indianerhäuptling und Aztekenkönig kostümiert“ habe. Vor einem aber haben bislang selbst die schärfsten Krititiker kapitulieren müssen: vor Don Durito. Den ritterlichen Käfer, den Marcos der Öffentlichkeit im Frühjahr 1995 als Alter ego und eine Art Miniatur- Don Quijote vorstellte und mit dem er seither in einsamen Nächten pfeifeschmauchend philosophische Grundsatzdebatten führt, hält selbst der mexikanische Dichter Octavio Paz, dem zapatistischen Treiben ansonsten nicht eben wohlgesonnen, für „eine denkwürdige Erfindung“. Darauf Marcos: „Da protestiert Durito aber gewaltig – wenn hier einer erfunden ist, dann bin ich das.“ Aber Marcos ist nicht nur Text, sondern auch Theater. Ein paar Schlüsselszenen aus dem Jahr '94: Zum Auftakt der Friedensverhandlungen in der Kathedrale von San Cristóbal überreicht die maskierte Comandante Ramona dem Subcomandante feierlich die zusammengefaltete mexikanische Fahne. Wortlos breitet dieser das grünweißrote Tuch aus und fordert den neben ihm stehenden Regierungsvertreter auf, doch auch ein Zipfelchen vom vaterländischen Tuch zu ergreifen – was dieser nach anfänglichem Zögern tut. Ein wahrlich seltener Anblick, der sich im Blitzlichtgewitter bietet: Ein vermummter und bewaffneter Guerillaführer hält zusammen mit dem Regierungsgesandten die Nationalflagge hoch. Sechs Monate später, zum Abschluß jener wundersamen Konvention, zu der die Zapatisten im August ein paar tausend Zivile in eine eigens gerodete Lichtung im Regenwald geladen hatten: Eine Journalistin will wissen, wann Marcos endlich die Skimütze ablegen werde. – „Jetzt sofort.“ Ein überraschtes Raunen geht durch die Menge, die Reporter sind wie elektrisiert, Fotografen zücken ihre Kameras. In der Unruhe erheben sich plötzlich Stimmen des Protests. „Nein!“ Erst eine, dann viele. Marcos läßt abstimmen: „Wer ist dafür, daß Marcos die Maske aufbehält?“ Alle Hände gehen hoch.
„Wer zum Teufel ist Marcos?“, faßt der Buchautor César Romero 1994 die wildwuchernden Spekulationen zusammen. „Ist er nicht dieser Priester mit Namen Alejo, der sich vor Jahren in den Gemeinden des Lacandonen-Dschungels verloren hat? Oder der maoistische Soziologe, der die Uni verlassen hatte, um die Revolution zu organisieren? Handelt es sich vielleicht um den radikalen Sohn einer reichen Familie? Hat er wirklich mit gebrauchter Kleidung gehandelt? Hatte er einen Fischstand in Veracruz, und hat er sich auf dem Uni-Campus seine Boyfriends geangelt?“ Im Februar 1995 präsentiert Präsident Zedillo die definitive – vom Sub bis heute heftigst bestrittene – Antwort auf diese Frage: Nach Geheimdienstrecherchen heiße Marcos bürgerlich Rafael Sebastián Guillén Vicente, sei 1957 im Bundesstaat Tamaulipas geboren, habe als Junge ein Jesuitenkolleg besucht, später Graphikdesign und Philosophie in Mexiko-Stadt sowie Soziologie an der Pariser Sorbonne studiert. – Schon möglich, aber längst ohne große Bedeutung. Der Dschungel-Glamour scheint ohnehin verflogen. Derzeit geht es um Massaker und Militarisierung, die Zapatisten sind wieder einmal in den Tiefen des Regenwaldes verschanzt – und warten. Der Mythos lebt. Wer Marcos ist? Keine Ahnung, aber er ist ziemlich unwiderstehlich.
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