■ Rechtsradikale brachten die Bundeswehr in jüngster Zeit ins Zwielicht. Ein Unteroffizier behauptet: Nicht Neonazis gefährden die demokratische Armee, sondern Duckmäuser
: Eine feige Männerbande

Korrupte Feldwebel, Ausbilder, die vorwiegend Deutsche mit ausländischem Akzent die Drecksarbeit machen lassen, Ausländerwitze, die Offiziere gerne überhören: So läßt sich der Alltag bei der „starken Truppe“ zusammenfassen. Dies ist kein rechter Ort für Zivilcourage.

Rechtsextremismus in der Bundeswehr gibt es nicht nur vereinzelt. Verteidigungsminister Volker Rühe macht es sich zu leicht. Er ignoriert den Alltag in der Truppe, ihre Struktur und die Stimmungen, die Fremdenfeindlichkeit begünstigen. Ich bin in Köln-Wahn stationiert, am größten Luftwaffenstandort in Europa. 6.500 Soldaten sind hier. Seit zwei Jahren trage ich die Uniform. Ich habe mich auf zwölf Jahre verpflichtet und sehe nahezu jeden Tag, wie die Grenze zwischen militärischem Befehlen, Gehorchen einerseits und Drangsalieren andererseits überschritten wird. Vor allem Aussiedler oder Türken, Italiener und Griechen mit deutschem Paß werden traktiert.

Vergangenen Herbst hatte ich Dienst bei der Flugbereitschaft. Die Einheit „Luftumschlagszug“ kümmert sich auch um das Versenden von Diplomatenpost, Umzugskartons und Koffer von Soldaten, die ins Ausland gehen. Das Gepäck wird auch im Heck eines Flugzeuges untergebracht, in einer Kammer, die nicht größer ist als das Gepäckfach eines Reisebusses. Will man etwas verstauen, muß man schon auf den Knien rutschen. Das Bücken geht mächtig ins Kreuz. Normalerweise müßte man sich beim Beladen abwechseln. Aber in der Zeit, in der ich dort war, waren immer nur zwei Aussiedler mit dieser Arbeit beschäftigt. Einer von ihnen beschwerte sich einmal. „Warum müssen immer wir das tun?“ fragte er. Sein Stabsoffizier schnauzte ihn daraufhin an: „Mach schneller. In der Zeit, in der du mit mir redest, kannste weiterarbeiten.“ Kein Ausrutscher: Der Luftumschlagszug ist bekannt dafür, daß Vorgesetzte sich gerne Leute für schwere Arbeiten herauspicken, die einen ausländischen Tonfall haben.

Für lästige Arbeiten werden überall gerne die Leute herangezogen, die man drangsalieren will. Egal, ob das Klo saubergemacht werden muß oder ob der Müll aus den Abfalltonnen des Flugfeldes sortiert wird, Drecksarbeiten werden an solche Soldaten gegeben, die sich nicht so gut durchsetzen können. Und das sind überwiegend Aussiedler oder Ausländer mit deutschem Paß. Ich habe noch keinen Vorgesetzten erlebt, der dies als Problem erkannt hätte. Fühlt sich jemand schikaniert und beschwert sich, dann brüllen sie oder drehen sich weg. So kann man jede Kritik abbügeln.

Vorurteile werden manchmal auch unbewußt geschürt. Das habe ich schon kurz nach meiner Einberufung im Januar 1996 erfahren. Die ersten zwei Monate wurden wir nach Budel in den Niederlanden abkommandiert. Dort warnte unser deutscher Ausbilder: „Vorsicht, die Holländer mögen uns nicht, wegen des Zweiten Weltkriegs.“ Einige Kameraden meinten darauf: „Na, wenn die uns nicht mögen, warum sollten wir sie denn mögen?“ So schaukeln sich Stimmungen auf.

Deswegen wundert sich auch niemand über Ausländerwitze wie „Was ist, wenn in einer Mülltonne eine Kerze brennt? Dann richtet sich ein Türke gerade häuslich ein.“ Als ich das beim Mittagessen hörte, habe ich versucht, mit den Kameraden darüber zu reden. Ich wurde ausgelacht. Seitdem halte ich immer häufiger meinen Mund. Zumal ich ja auch nicht weiß, wie die Vorgesetzten politisch denken. Schließlich habe ich die Sätze, „Ausländer haben in Deutschland nichts zu suchen“ und „Die letzten Kameraden sind vor Stalingrad gefallen“ auch schon von Offizieren gehört. Man sagt so etwas leicht dahin, quasi wie ein geflügeltes Wort. Ich kontere dann höchstens schon einmal: „Laut Paragraph 12 des Soldatengesetzes gibt es Kameradschaft auch heute noch.“ Dann werden die Leute etwas vorsichtiger.

Über politische Bildung wird zwar viel geredet, doch sie findet kaum statt. Während meiner Grundwehrzeit haben wir nur einmal eine Unterrichtsstunde in diesem Fach gehabt. Wir sahen einen Videofilm: „Randale auf Schienen“. Es wurde gezeigt, wie sich Soldaten auf der Heimfahrt danebenbenehmen. Und anschließend mußten wir die Frage beantworten: Wie soll sich der Soldat in der Öffentlichkeit verhalten? Uns wurde erklärt, daß wir nicht trinken sollen und Frauen helfen müssen, den Kinderwagen in den Zug zu hieven.

Beim Unteroffizierslehrgang war das Niveau anders. Dort haben wir nach dem Mittagessen immer eine Viertelstunde einen Vortrag halten müssen. Über beliebige Themen, wie den Solizuschlag oder das Motiv einer Briefmarke. Außer internen Zeitschriften wie infopost, Bundeswehr aktuell oder loyal liegen in den Kasernen höchstens mal vereinzelt Tageszeitungen oder Wochenmagazine aus.

Vorgesetzte diskutieren mit uns nicht. Ich kenne niemanden, der ein Gespräch über Tagespolitik suchen würde. Selbst damals nicht, als Herr Rühe nach den Vorfällen von Hammelburg forderte, die Soldaten sollten mehr Zivilcourage zeigen.

Ich will nicht behaupten, daß die Bundeswehr rechtsradikale Machenschaften fördert. Aber im Alltag werden sie nur halbherzig pariert. Am Anfang meiner Grundwehrzeit lernte ich in der Nassau-Dietz-Kaserne in Budel einen strammen Rechten kennen, der trug T-Shirts mit Sprüchen wie: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Ich habe ihn zur Rede gestellt. Daraufhin schmiß er meinen Spind um und brüllte: „Ich bring' dich um.“ Er drohte damit, eine rechte Schlägertruppe auf mich zu hetzen. Das habe ich seinem Kompaniechef gemeldet. Der versprach, sich der der Sache anzunehmen – aber es passierte nichts.

Kürzlich traf ich den Typen zufällig hier in Wahn. Da schrie er: „Du Schwein lebst ja noch.“ Das habe ich seinem Kompaniefeldwebel schriftlich gemeldet. Bis heute warte ich auf eine Antwort. Dieser Typ wurde mittlerweile Zeitsoldat, verpflichtet auf vier Jahre. Für mich ist dies ein Beleg dafür, daß Rechtsradikale zumindest augenzwinkernd geduldet werden.

Hier in Köln-Wahn konnten sich rechtsgestrickte Soldaten zwischendurch mit dem Computerspiel „Wolfenstein“ aufputschen. Dieses Spiel war auf einer Anzahl von Dienstcomputern installiert. Ein Männchen läuft in einer Uniform mit aufgenähtem Hakenkreuz durch ein Labyrinth. Jeder Soldat hätte an das Computerspiel herankommen können. Vor einigen Monaten verschwand das Spiel aus dem System. Der Sicherheitsoffizier hatte eine Computerkontrolle angekündigt. Ein, zwei Tage vor der Razzia rief uns jemand aus seinem Geschäftszimmer an und sagte, wir sollten alle Spiele löschen. Ich weiß nicht, was ich als Untergebener dagegen machen kann, wenn sich selbst die Sicherheitsoffiziere nicht durchsetzen können – oder wollen.

Weggucken, ignorieren, Mund halten: Dieses Klima macht es Vorgesetzten leicht, Rekruten zu erniedrigen. Am Fliegerhorst Nörvenich kannte ich einen Hauptfeldwebel, der seine Untergebenen unverhohlen erpreßte. Dort war ich vorigen Sommer stationiert. Dieser Hauptfeldwebel hatte den Helm eines Soldaten gefunden und rief den Mann zu sich. „Herr Flieger, ich habe Ihren Helm gefunden“, sagte er, „das kostet Sie 50 Mark. Melden Sie ihn als verloren, müssen Sie 120 Mark bezahlen.“ Der Rekrut legte das Geld auf den Tisch und bekam seinen Helm zurück.

Werden Rekruten unter Druck gesetzt, regt sich kaum jemand darüber auf. Der Dienstleistende nicht, weil er Angst hat. Er freut sich höchstens auf den Feierabend. Falls er was gegen einen Offizier sagt, muß er damit rechnen, daß sein Dienst anschließend noch ein, zwei Stunden verlängert wird oder daß er am Wochenende zum Wacheschieben eingetragen wird. Die Kameraden des Hauptmannes mögen sein Verhalten zwar mitbekommen, mischen sich aber nicht ein. Den meisten ist die Karriere näher als Zivilcourage. Ganz frei bin ich von dieser Haltung auch nicht: Ich will noch länger bei der Truppe bleiben.

Ich vertraue nicht auf Volker Rühes Worte, daß die Bundeswehr schnell und gründlich den Vorwürfen nachgeht. Das stimmt nicht. Ich habe einmal eine Beschwerde an die Wehrbeauftragte Claire Marienfeld geschickt und darin auch die Schikanierung von Untergebenen zur Sprache gebracht. Nachdem ich den Brief meinem Chef gezeigt hatte, legte mir der Hauptmann nahe, die Beschwerde zurückzuziehen. Ein anderer sagte mir, er fände es nicht fair, sich an die Wehrbeauftragte zu wenden.

Alle fragten nach dem Warum und Wieso meiner Beschwerde, nach detaillierten Beweisen. Sie wollten mir nachweisen, daß ich ungenaue Angaben gemacht hätte. Ich hörte immer wieder: So eine Beschwerde kann sich nachteilig auf Ihr Fortkommen auswirken. Sie wollten mich als unglaubwürdig hinstellen. Wie soll ich denn etwa beweisen können, daß dieser eine Kamerad ein Neonazi ist? Hätte ich ihm die Musikkassetten klauen sollen oder seine T-Shirts?

Wenn einem noch selbst die Schuld dafür gegeben wird, daß man Vorfälle meldet, wird man ärgerlich. Spätestens dann, wenn es heißt, man wolle sich damit für Benachteiligungen, die man erlebt hat, rächen. Wenn meine Glaubwürdigkeit so in Zweifel gezogen wird, frage ich mich: Wär's nicht besser gewesen, den Mund zu halten? So ein Spießrutenlaufen, so eine Nerverei will ich nicht noch mal ertragen.

Ich möchte mithelfen aufzuklären, wie die militärischen Strukturen Gewalt und Rechtsradikalismus beeinflussen. Ich fühle mich verunsichert: Einerseits sind da die internationalen Aufträge, an denen sich die Bundeswehr beteiligt und weshalb ich gerne Soldat geworden bin. Andererseits herrschen Korpsgeist, Gleichgültigkeit den jungen Soldaten gegenüber und ein unkontrolliertes Eigenleben.

Ich würde offen reden. Wenn eine unabhängige Untersuchungskommission in die Kaserne käme und nicht der Verteidigungsausschuß.s

Aufgezeichnet von Annette Rogalla