piwik no script img

Die Millionärin fährt einen Golf

Die Zahl der Millionäre hat sich mindestens verdoppelt, doch der Reichtum wird weniger zur Schau gestellt. Die Wohlhabenden zeigen sich beim Luxuskauf durchaus preisbewußt  ■ Von Hannes Koch

Ihr Vermögen beläuft sich auf mehr als 40 Millionen Mark. Über die Herkunft dieser Summe schweigt sie. Auch weiß Helene Schmidt* „nicht ganz genau“, um wieviel ihr Reichtum Jahr für Jahr zunimmt. Die verschiedenen Banken schickten ihr zwar Abrechnungen über die Zinsen, Renditen und Aktiendividenden, aber „die Addition macht der Steuerberater“. Schmidt vermutet jedoch, daß der jährliche Zuwachs über einer Million Mark liegt.

Die Fünfzigjährige gehört damit zu den rund 1.200 Menschen der Stadt, deren Jahreseinkommen eine Million Mark und mehr beträgt. Die Zahl dieser Reichen hat sich nach Angaben des Statistischen Landesamtes zwischen 1989 und 1992 verdoppelt – parallel zu steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut in anderen Schichten der Bevölkerung. Und Berechnungen der Oberfinanzdirektion (siehe unten) deuten darauf hin, daß der Geldadel seitdem nochmals angewachsen ist.

Helene Schmidt, die seit der Ausbildung zur Industriekauffrau nicht mehr lohnabhängig arbeitet, ist in der glücklichen Lage, ihrem Geschmack gehorchen zu dürfen. Was ihr gefalle, sei manchmal preisgünstig. „Es stellt sich aber heraus, daß es nicht immer billig ist.“ Vor allem achtet sie auf Qualität: Die Dinge sollen möglichst bis an ihr Lebensende halten. Beim Kauf der neuen Küche „habe ich richtig reingegriffen“. Die Ausstattung des Raumes mit Schränken, Regalen und Elektrogeräten hat 110.000 Mark gekostet. Allein der Kühlschrank mit Eismaschine schlug mit 6.000 Mark zu Buche. Weil Holzplatten die Feuchtigkeit aufsaugen, hat Schmidt sich für eine hochglanzpolierte Arbeitsplatte aus Granit entschieden. „Darüber freue ich mich jeden Tag.“

Zusammen mit einer Freundin bewohnt die Millionärin 400 Quadratmeter in ihrer Villa. Im Haus bekennt sie sich zu ihrem Geld – außerhalb selten. Teure Essen im Restaurant Bamberger Reiter in Wilmersdorf seien die Ausnahme, und auch der Daimler- Oldtimer aus den fünfziger Jahren wird nur selten aus der Garage geholt. Ansonsten fährt Schmidt einen Golf und trägt Jeans, keine Pelzmäntel.

„Zurückhaltend“ bei der öffentlichen Präsentation des Geldes war sie nach eigenem Bekunden schon immer, wenngleich ihr durch die schlechte Wirtschaftslage in den vergangenen Jahren ihre herausgehobene Stellung „bewußter geworden sei“. Über Verhaltensänderungen nachdenkend, fällt ihr nur ein Beispiel ein: Wenn sie für kranke Kinder in Afrika spendet, untersagt sie neuerdings die Veröffentlichung ihres Namens – „diese Art von Publicity will ich nicht“.

Gar „Angst, sich zu zeigen“ hätten die reichen Leute heutzutage, beklagt Fidele, Inhaber des Edelitalieners Ristorante A'Pummarola, und bewirtet an diesem Mittwochabend zehn einsame Gäste. Der Neapolitaner diagnostiziert: Wenn ein Unternehmer gerade zweihundert Leute entlassen habe, verspüre er wenig Lust, ausschweifend und teuer zu speisen. Er müsse doch befürchten, daß man ihm „die Reifen absticht“.

Die Zahl der großen Parties und Galaempfänge der Schönen und Reichen sei 1997 im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel zurückgegangen, gewährt die Reporterin einer Boulevardzeitung Einblick in ihre persönliche Statistik. Es sei „nicht schick, geradezu verpönt“, in Nobelrestaurants „voll auf die Sahne zu hauen“. Was fürchtet man denn? Das Finanzamt, Neid und Entführung, meint sie.

Eine ähnliche Tendenz stellt auch Marion Schumacher, Sprecherin des Schloßhotels Vier Jahreszeiten im Grunewald, fest. Wer in der exquisiten Herberge, einer der teuersten der Stadt, speist, kommt selten unter 250 Mark pro Person weg. „Die Parties werden seltener“, sagt Schumacher.

Doch die Vermögenden wollen beileibe nicht ganz auf die Freuden rauschender Feste verzichten: Wenn gefeiert wird, dann richtig. Sie erinnert sich an ein Dinner mit fünfzig Personen, bei dem acht Kilo Kaviar für rund 32.000 Mark die Gaumen erfreuten. Doch die betuchten Gäste würden weitaus „härter feilschen“ als vor Jahren, fragten mitunter an, ob sie den Champagner nicht selbst mitbringen dürften, und verhandelten um die 5 Mark für die Garderobe. „Preisbewußt im Luxussegment“ nennt Schumacher dieses Phänomen.

Der vermögende Kaufmann Herbert Stanowski* freilich, ein Kenner der noblen Nachtszene, teilt die Einschätzung nicht, daß die allgemeine „Gürtel-enger- Schnallen-Ideologie“ auch bei Millionären ihre Spuren hinterlasse. „Ich habe noch nie gespart“, sagt er. Schon immer beschäftigte er einen Chauffeur, der ihn nachts von Kneipe zu Kneipe fährt und tagsüber als Butler dient. Auch die Haushälterin hat er vor Jahren eingestellt.

Für die Existenz einer neuen Berliner Millionärsschicht hat René Becker*, Galerist auf der Friedrichstraße, keine Indizien. „Wir kennen unsere Stammkunden.“ Und diese Gesichter blieben seit Jahren dieselben: Neue einheimische Kunstsammler in nennenswerter Zahl tauchten nicht auf. Ein guter Teil des Umsatzes gehe auf das Konto von „Edeltouristen wie des Oberforstrates aus Amberg“, der seiner Frau Porzellantassen für 4.000 Mark pro Stück schenke.

Eine „neue, einheimische Käuferschicht“ kann auch die Geschäftsführerin des Juweliers im Friedrichstraßen-Quartier 206 nicht ausmachen. Die teuersten Einzelexemplare goldener Halsbänder und Broschen kosten dort bis zu 100.000 Mark – weniger als bei Cartier in der Fasanenstraße, wo Spitzenpreise bis zu einer Million Mark gezahlt werden. In beiden Fällen gehörten reiche Russen und Russinnen, die sich in der Stadt angesiedelt hätten, zu den KäuferInnen.

Wo stecken sie nun, die zusätzlichen sechshundert Millionäre der Stadt? Herbert Stanowski verortet die öffentlichen Lebensäußerungen dieser Klientel eher im ländlichen Brandenburg. Das Hotel Kempinski in Bad Saarow erfreue sich großer Beliebtheit. Und abseits der proletarischen, unter der Krise leidenden Metropole lasse sich Geld viel unbeschwerter genießen. Unlängst habe er eine zweiwöchige Schiffsreise für 15.000 Mark pro Person unternommen. „Da war ich sehr erfreut, daß so viele Berliner an Bord waren.“

* Namen geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen