■ Bundesärztekammer berät Richtlinien zur Sterbebegleitung
: Flucht aus der Verantwortung

Viele freundliche Worte, dünne Suppe, Ratschläge hin und Änderungsbereitschaft her – die Anhörung der Bundesärztekammer zu ihrem Entwurf für neue Richtlinien zur Sterbebegleitung verlief gefällig und ohne Eklat. Die Fragestellung war zu allgemein, das Podium brav pluralistisch, statt Streit prägten Monologe die Debatte.

Dabei könnten die Positionen gegensätzlicher kaum sein: Während der Bundesgerichtshof in seinen letzten Urteilen zum Thema auch die Tötung von Nicht-Sterbenden unter bestimmten, aber nicht sehr eng gefaßten Bedingungen aus der Strafbarkeit herausnehmen will, beharren die „Euthanasie“-Kritiker darauf, daß ein Vorgehen, das darauf zielt, den Tod herbeizuführen, generell nicht akzeptabel ist.

Die Entscheidung zwischen einer Position, die Lebenserhaltung und Herbeiführung des Todes von Qualitätsüberlegungen und Interessenabwägungen abhängig macht, und einer Position, die die Gleichwertigkeit menschlichen Lebens nicht nur als Prinzip, sondern als Handlungsverpflichtung versteht, klärt längst nicht alle Streitfragen über Behandlung, Behandlungsbegrenzung und Sterbehilfe.

Ohne eine Verständigung über die Basis der Auseinandersetzung wird die Debatte über Detailfragen aber zum unverbindlichen Meinungsaustausch. In den Mittelpunkt rückt dann die Suche nach dem besten Begriff: Künftig wird es also nicht mehr Behandlungsabbruch heißen, wenn ein Arzt die Beatmung eines Patienten einstellt, sondern „Änderung der Therapierichtung“.

Die Bundesärztekammer sieht, das wurde gestern deutlich, die Debatte über den Entwurf für ihre neuen Richtlinien zur Sterbebegleitung als beendet an. Tatsächlich hat sie alles dafür getan, die Auseinandersetzung auf ein Nebengleis zu führen. Das Ergebnis ist ein zufriedenes „Wir haben's versucht, bleiben aber unentschieden“. Wenn den Richtlinien der BGH- Rechtsprechung aber keine entschiedene Absage erteilt wird, dann läßt sie der Entwicklung Richtung „Euthanasie“ freien Lauf. Wenn die Ärzteschaft, die in den Kliniken und an den Krankenbetten handelt, bloß Bedenken artikuliert, zieht sie sich aus der Verantwortung zurück und überläßt die Initiative den Juristen. Und deren Ressentiment gegen Menschen mit Behinderung, man denke an das Verfassungsgerichtsurteil über das behinderte Kind als Schaden und die Rechtsprechung des OLG Köln zur „Lärmbelästigung" durch Nachbarn mit geistiger Behinderung, bahnt niederländischen Verhältnissen den Weg. Oliver Tolmein