Verblüffendes Ergebnis einer Studie des britischen Forschers Coley: Ein Biofleischesser verhält sich ökologisch korrekter als ein Vegetarier, der konventionell erzeugtes Gemüse vertilgt. Der Nährwert der Lebensmittel wurde mit der aufgewendeten Energie verglichen Von Niels Boeing

Vorbei sind die fleischlichen Sünden

Wer zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen will, kann gleich beim Frühstück damit beginnen. Ökolebensmittel gibt es schließlich genug, und es ist inzwischen bekannt, welche Ernährung umweltverträglich ist. Doch David Coley ist sich da nicht mehr so sicher. Seine Arbeitsgruppe am Institut für Energie und Umwelt der Universität Exeter in Südengland hat in einer Studie untersucht, wieviel Energie die Speisepläne der Briten verschlingen.

Anstatt aber wie bisher nur darauf zu schauen, wieviel fossile Energie zur Produktion von einem Kilo Schweinebraten oder einem Bund Möhren gebraucht wurde, berechneten die Forscher zum ersten Mal den Energieaufwand, der nötig ist, um eine Kalorie daraus zu erzeugen. Die Ergebnisse sind verwirrend.

„Eigentlich wollten wir mit der Studie ein paar einfache Vorschläge für ökologisches Essen wissenschaftlich untermauern“, sagt Coley, der selbst mehr oder weniger vegetarisch lebt. „Das ist uns aber überhaupt nicht gelungen. Die Dinge liegen viel komplizierter.“ Denn um eine Kalorie Tomate zu produzieren, braucht man im Vergleich zu Würsten fünfmal soviel Energie. In einer Apfelkalorie steckt doppelt soviel Energie wie einer Eierkalorie.

Diese Zahlen, die Mittelwerte von Energiebilanzen aus verschiedenen Anbau- oder Zuchtmethoden sind, zeigen das gegenwärtige Dilemma bei der Produktion von Nahrungsmitteln: Die ökologisch günstige Energiebilanz von Freilandtomaten wird durch die energieverschlingende Tomatenzucht in Treibhäusern zunichte gemacht. „Ein Vegetarier, der sich mit konventionell produziertem Obst und Gemüse ernährt, steht ökologisch gesehen viel schlechter da als ein Biofleischesser“, folgert Coley mit deutlichem Unbehagen in der Stimme. Er selbst müsse sich die Frage stellen, ob er weiterhin aus Italien importierte eingelegte Tomaten kaufen soll.

Die Studie basiert auf niederländischen Energiebilanzen, die 1995 in dem Bericht „Reduktion von CO2-Emissionen durch Änderung des Lebenswandels“ vom Zentrum für Energie- und Umweltstudien IVEM in Groningen veröffentlicht wurden. Das ist die bisher vollständigste Untersuchung, wieviel Energie gewöhnliche Haushaltsgüter und Lebensmittel von der Herstellung bis zum Kauf verschlingen. Bei Treibhausgemüse schlage der Anbau mit 85 Prozent des Gesamtenergieaufwandes zu Buche, bei Freilandgemüse dagegen nur zu 70 Prozent, schätzt Harry Wilting vom IVEM. Während die Verarbeitung von Milchprodukten ein Viertel der Energie beanspruche, werde für die Verarbeitung von Fleischwaren nur ein Zehntel der Energie benötigt.

Von den 125 Lebensmitteln des niederländischen Reports übernahmen Coley und sein Team 85 Produkte, die typisch für britische Haushalte sind. Aufbauend auf einer älteren Umfrage über Eßgewohnheiten im Vereinigten Königreich, errechneten sie die jährliche Energiemenge, die in den britischen Eßzimmern verschlungen wird. Auch hier war das Ergebnis bemerkenswert: Ein Sechstel der Bevölkerung benötigt nur 10.000 Megajoule Primärenergie pro Jahr, um satt zu werden, während ein weiteres Sechstel sich 25.000 Megajoule gönnt.

Wie diese Spanne zustande kommt, können sich Coley und seine Kollegen allerdings nicht erklären. Sie hatten zuerst versucht, verschiedene Kategorien von Essern einzuteilen. Aber schon Vegetarier seien zu unterschiedlich in ihren Eßgewohnheiten. Schließlich hätten sie diesen Versuch aufgegeben.

Dennoch liegt für Coley eine Konsequenz auf der Hand: Eine ressourcenschonende Ernährung läßt sich nicht allein durch eine Ökologisierung der Landwirtschaft erreichen. Der Verbraucher muß mitmachen. Wenn er auf andere, weniger energieintensive Produkte umsteigt, wäre schon viel gewonnen. Eine „spannende“ Erkenntnis, wie Coley meint.

Den Ansatz, den Nährwert in Kalorien in Beziehung zur aufgewendeten Primärenergie zu setzen, hält auch Ulrich Oltersdorf von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung für interessant. Er schätzt, daß der Energie-Input den Energiegehalt der Nährstoffe hierzulande sogar um einen Faktor 10 übertrifft. Das würde deutlich über dem britischen Durchschnittswert von 5,75 liegen.

Die britische Studie dreht sich ausschließlich um den Nährwert von Lebensmitteln. Um ein vollständiges Bild zu bekommen, müßte aber auch die Energiebilanz des menschlichen Verbrauchs von Vitaminen, Ballast- und Mineralstoffen berücksichtigt werden. Solche Untersuchungen gibt es bisher nicht. „Da müßte noch viel mehr erforscht werden“, sagt Ulrich Oltersdorf.