97 Stasi-Seiten für die freie Fahrt nach Westberlin

Erich Mielke war in den 70er Jahren wohl der bestinformierte Mann, wenn es um die RAF und die „Bewegung 2. Juni“ ging. Eifrig sammelte sein Ministerium für Staatssicherheit Informationen über die linke Untergrundszene in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin.

Am 9. November 1973 ging ihm ein besonderer Informant ins Netz. Bommi Baumann, damals führender Kopf der Bewegung 2. Juni, passierte, aus Prag kommend, die DDR-Grenze. Den Beamten fiel sein schlecht gefälschter Paß auf.

Von den Westdeutschen wurde Baumann, damals 26, gesucht, weil er für die anarchistische Untergrundgruppe Bomben gelegt und Banken überfallen hatte. Baumann saß in der Falle. Die Stasi-Beamten ließen ihn in das Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen bringen und verhörten ihn. Während seines 43tägigen Zwangsaufenthalts breitete er sein gesammeltes Wissen über Strukturen und Aktionen des 2. Juni aus.

Auf den 97 Seiten lieferte er auch Persönlichkeitsprofile von führenden RAF-Mitgliedern. Andreas Bader nannte er einen „Schaumschläger, sehr fanatisch, Spinner, mit völlig infantilem Verhalten“. Über Gudrun Ensslin sagte er, sie sei „sehr kalt, aber mutig, sehr fleißig und ordentlich. Wird Gefängnis gut überstehen und weitermachen, unbeugsame psychische Kraft.“ Ulrike Meinhof sei „sehr moralisch in ihren Ansichten, eher moralisch als politisch“. Jan-Carl Raspe hingegen sei „sehr still, lieb, bescheiden, nicht gewalttätig“. Raspe „paßte nicht in den Haufen“. Alle RAF- Mitglieder verübten im Gefängnis Stuttgart-Stammheim Selbstmord.

Baumann wurde nach seinen Einlassungen, wie vereinbart, nach Westberlin geschleust. Er erhielt laut Spiegel ein Taschengeld von 20 „West-Mark“ für seine Dienste. Heute arbeitet Baumann an einem Buch über Drogen. roga