■ Die NRW-Grünen bleiben trotz Garzweiler in der Koalition. Doch wie wollen die Grünen im Bund schaffen, was in NRW mißlang?
: Das falsche Modell für Bonn

Die Spitze der Bündnisgrünen hat auf dem Sonderparteitag in Jüchen einen fragwürdigen Sieg errungen. Die Entscheidung, an der rot-grünen Koalition in Düsseldorf festzuhalten, wird die Partei in den kommenden Jahren als schlechtes Beispiel verfolgen.

Dabei geht es nicht so sehr um eine ökologische Glaubwürdigkeitslücke. Die Grünen haben es in den vergangenen Wochen verstanden, deutlich zu machen, daß sie alle gegen das 48 Quadratkilometer große Tagebauloch Garzweiler sind. Und sie haben dabei auch demonstriert, daß sie nach wie vor die einzige Partei sind, die gegen dieses industrielle Großprojekt des 19. Jahrhunderts aufbegehrt. So weit, so gut.

Doch die Parteispitze hat gleichzeitig gezeigt, daß sie sich als Regierungspartei in entscheidenden Situationen gegen die SPD nicht durchsetzen kann. Damit aber wird die Entscheidung von Jüchen ohne weiteres Zutun zum Modell für eine rot-grüne Regierungskoalition in Bonn.

Und diejenigen, die argumentiert haben, daß Rot-Grün in Düsseldorf bleiben muß, um die rot- grünen Chancen bundesweit zu wahren, sind im Erklärungsnotstand. Sie werden zeigen müssen, daß man mit der SPD in Bonn eine Politik machen kann, in der die Grünen nicht bloß Mehrheitsbeschaffer sind. Das wird nun extrem schwierig. Denn die Bündnisgrünen gehen nach Jüchen als eine Partei der guten Vorsätze in den Bundestagswahlkampf – aber ohne die Fähigkeit, diese Vorsätze auch umzusetzen. Sie haben in NRW eine wild gewordene SPD- Spitze um den Scharfmacher Klaus Matthiesen und den Machtpolitiker Wolfgang Clement nicht daran hindern können, den Durchmarsch zu proben. Bis zur Bundestagswahl im September haben die Genossen an Rhein und Ruhr nun sogar noch Gelegenheit, den kleinen Koalitionspartner weiter vorzuführen.

Eben weil die Koalition in Düsseldorf als Muster für Bonn gilt, wird sich bei jedem weiteren Konflikt die Frage nach der politischen Schmerzgrenze für die Grünen und nach dem Einfluß des kleineren Regierungspartners in Koalitionen mit der SPD stellen.

Traditionell hat der kleinere Partner bundesdeutscher Regierungsbündnisse in Streitfragen kein gestalterisches Potential, aber doch ein Vetorecht. Nach Jüchen stellt sich die Frage: Haben die Bündnisgrünen in einer Koalition mit der SPD dieses Vetorecht?

Ein Blick auf die FDP macht die Schärfe des Problems deutlich. Jede politische Koalition beruht darauf, daß der kleine Partner den großen hin und wieder erpressen kann. Die FDP hat dies gerade in Fragen der Steuerreform und der Erhöhung der Mineralölsteuer wieder praktiziert. Kanzler Kohl ließ sich willig von Westerwelle durch die Arena führen, weil er glaubt, auf den Koalitionpartner angewiesen zu sein, und weil er aus Einsicht den Koalitionspartner Punkte machen läßt.

Die Bündnisgrünen in NRW waren in einer von ihnen selbst als zentral definierten Frage zu einem solchen Veto nicht in der Lage. Die grüne Parteispitze aber wird in den kommenden Monaten ernsthaft argumentieren müssen, daß grüne Inhalte auch der Bundes-SPD abgerungen werden können. Und das, nachdem Clement in NRW gerade das Gegenteil demonstrierte.

Parteistrategen wie Joschka Fischer, die viel Mühe darauf verwandt haben, ein realisierbares, politikfähiges Programm für die Bundestagswahl zu erstellen, haben mit Jüchen ein Eigentor fabriziert. Wenn Fischer jetzt betont, ein Verhalten wie in NRW werde man sich von der Bundes-SPD nicht bieten lassen, wird diese Ankündigung Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine gewiß im Mark erschüttern.

Das eigentliche Dilemma der Grünen ist nicht die Frage nach ihrer inhaltlichen Glaubwürdigkeit, sondern neuerdings die nach ihrer Politikfähigkeit. Noch vor wenigen Jahren hieß es, die Grünen seien mit ihrem radikalen Programm und ihrer unruhigen Basis kein verläßlicher Partner und deshalb politikunfähig. Heute stellt sich das Problem anders: Die Parteispitze ist nicht in der Lage, einen verläßlichen Kurs zu bestimmen. Es wird ein realistisches Programm gestrickt, das später nicht ernst genommen wird. Nicht die politischen Positionen gefährden die Wahlchancen der Grünen, sondern die Unklarheit, ob und wie sie zentrale Positionen in Politik umzusetzen gedenken.

Die andere Gefahr ist, daß die Grünen in Koalitionen mit der Sozialdemokratie so etwas wie ein Verläßlichkeitstrauma entwickeln. So wie die SPD panische Angst hat, als vaterlandslose Gesellen zu gelten, so scheinen die Grünen mehr als alles in der Welt den Vorwurf zu fürchten, als regierungsuntauglich zu gelten. Deshalb lassen sich bündnisgrüne Spitzenpolitiker regelmäßig über den Tisch ziehen.

Schlechte Aussichten für ein rot-grünes Reformprojekt. Von der SPD ist eine mutige Politik kaum zu erwarten. Vor 15 Jahren beispielsweise mußte der CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann all die Umweltgesetze auf den Weg bringen, zu denen der SPD der Mut fehlte, weil sie nicht in den Ruch kommen wollte, wirtschaftsfeindlich zu sein. Immissionsschutz, den blauen Himmel über der Ruhr, verhinderte jahrelang die SPD.

Historisch gibt es bei den Grünen für beide Deformationen überhaupt keinen Anlaß. Die Geschichte der grünen Partei zeigt vielmehr, daß der Erfolg in der anderen Richtung liegt. Der Parteistratege Joschka Fischer selbst hat in den achtziger Jahren in Hessen vorgemacht, wie man an einer rot- grünen Koalition festhält, wann man sie aufkündigt und wie man dabei die eigene Position mittel- und langfristig politisch stärkt. Fischer hat sich als grüner Umweltminister die Plutoniumspiele seines SPD-Wirtschaftsministers in Hessen nicht bieten lassen wollen. Diese Fähigkeit und die nach dem Koalitionsbruch 1987 glaubwürdige Drohung der Partei, im Fall der Fälle wieder entsprechende politische Konsequenzen zu ziehen, haben den Grünen vier Jahre später zu viel politischer Stärke verholfen. Die Plutoniumschmiede von Hanau konnte geschlossen werden, die rot-grüne Koalition in Hessen ist heutzutage außerordentlich stabil.

Über den Tagebau in Garzweiler wird nicht zwischen heute und der Bundestagswahl im September entschieden. Die Bagger kommen frühestens 2006. Aber ein glaubwürdiges Drohpotential wie damals in Hessen wird den Grünen in Düsseldorf und in Bonn in den kommenden Monaten – und Jahren – bitter fehlen. Hermann-Josef Tenhagen