"Zwei Drittel wollen ein progressives Profil"

■ Carola von Braun räumt einem konservativen Kandidaten geringe Chancen für den FDP-Vorsitz ein, attestiert allerdings eine "schwierige Gefechtslage". Die ehemalige FDP-Chefin arbeitet derzeit a

taz: Frau von Braun, wollen Sie einen Landesvorsitzenden, der wie Heinz Lanfermann für den Großen Lauschangriff gestimmt hat?

Carola von Braun: Ich gehöre zu denjenigen, die den Großen Lauschangriff vehement abgelehnt haben. Jeder Parteifreund, der den Lauschangriff vorangetrieben hat, muß damit rechnen, daß er eine Menge an Diskussionen auslöst.

In Berlin hat der sozialliberale Flügel mehr Gewicht als in der Bundespartei. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Chancen von Heinz Lanfermann ein, als Landesvorsitzender gewählt zu werden?

Wie der Parteitag ausgehen wird, ist zur Zeit noch völlig offen. Richtig ist, daß ein konservatives Profil in unserem Landesverband gar nicht durchzusetzen wäre. Zwei Drittel wollen ein gemäßigt progressives Profil. Das muß jeder, der für den Vorsitz kandidiert, beachten. Darüber hinaus muß sich der Landesverband in einer Großstadt profilieren, die sowohl das Ost-West-Problem hat als auch die gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Insofern sind bestimmte Profile, die auf Bundesebene möglich sind, im Landesverband Berlin gar nicht weiter durchsetzbar.

Was heißt das für den amtierenden Vorsitzenden Martin Matz? Hat er das, was die Partei von ihm erwartet, erfüllt, oder überwiegt die Kritik?

Er hat sehr hart gearbeitet, das muß anerkannt werden. Zu leiden hat Matz darunter, daß die FDP nicht im Abgeordnetenhaus vertreten ist. Doch die Kommunikation zwischen ihm und denjenigen, die ihn gewählt haben, wurde in den vergangenen zwei Jahren nicht ausreichend entwickelt.

Wird sich diese Kritik auf sein Wahlergebnis durchschlagen?

Ich hoffe nicht. Aber es ist eine komplizierte Gefechtslage entstanden.

Trotzdem scheint die FDP für Sie persönlich wieder attraktiver geworden zu sein. Sie kandidieren für Platz zwei der Bundestagsliste und treten damit gegen den Bonner Staatssekretär Lanfermann und FDP-Chef Matz an.

Als Partei des organisierten Liberalismus ist die FDP für mich noch immer die mit Abstand attraktivste Partei. Ich hatte Gelegenheit, mich in anderen Parteien umzusehen, und ich weiß, warum ich in der FDP geblieben bin. Wir haben in der Tat derzeit erkennbar einige Schwierigkeiten, an denen wir hart arbeiten müssen. Zum Beispiel müssen wir unser Profil um die Themen der Bildungspolitik, der Gleichberechtigungspolitik und der Bürgerrechte erweitern. Dazu kann ich einiges einbringen.

Machen Sie sich mit der Kandidatur um ein Bundestagsmandat nicht vom Acker, weg von der zerstrittenen Berliner Partei?

Ich komme aus der Bundespolitik, insofern mache ich mich nicht vom Acker. Mich interessiert die Bundespolitik, weil ich dazu beitragen möchte, daß das prägende Gesamtprofil der Partei wieder stärker die schwierige Lage der Großstadt Berlin berücksichtigt. Damit kann ich auch meinem Landesverband für die Abgeordnetenhauswahl 1999 am meisten nützen.

Sie kandidieren in Berlin gegen den Landesvorsitzenden Matz für die Bundestagsliste. Er wirft Ihnen vor, ihn damit insgesamt zu schwächen.

Die Partei wird verschiedene Angebote für Platz zwei unterbreitet bekommen und muß nun entscheiden. Andersrum könnte ich ja sagen, wenn ich nicht gewählt werde, ist ein anderer Teil der Partei geschwächt.

Auf Bundesebene ist – auch nach der Entscheidung für den Großen Lauschangriff – der sozialliberale Flügel nicht gerade im Aufwind. Was glauben Sie, unter diesen Umständen überhaupt erreichen zu können?

Man muß unterscheiden, wie die Partei im Moment von der Bundesspitze dargestellt wird und der tatsächlichen Stimmung in der Partei. Sabine Leutheusser- Schnarrenberger wurde von der Parteispitze massiv kritisiert, bekam aber großen Beifall auf dem Dreikönigstreffen. Wir müssen dringend daran arbeiten, daß es wieder eine Annäherung zwischen der Darstellung der Partei durch die Bundesspitze und der Parteibasis gibt. Ich habe immer meinen Teil dazu beigetragen, daß diese Verbindung wieder hergestellt wird. Das würde ich auch künftig als meine Aufgabe in der Bundestagsfraktion sehen.

Aber wie soll das gelingen?

In allen Parteien gibt es große Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Handeln von Fraktionen und der Stimmung in der Partei. Im Moment jedoch ist der Abstand besorgniserregend groß. Es geht darum, diese sehr große Kluft zu überbrücken. Interview: Barbara Junge