■ Tschechien: Die zwiespältige Rolle des Präsidenten Václav Havel
: Mehr als ein König

In jenen stürmischen Tagen der Samtenen Revolution des Jahres 1989 und kurz vor seiner ersten Wahl zum (damals noch) tschechoslowakischen Staatspräsidenten formulierte Václav Havel einen damals stets als Beweis für seine Bescheidenheit zitierten Satz: „Lieber als König möchte ich der Königsmacher des Landes sein.“

Acht Jahre später ist Havel beides. Im ganzen Land gibt es keinen, der ihm sein Amt streitig machen könnte oder auch nur wollte. Daran ändert auch die gestrige lange Debatte über den Präsidenten nichts. Laut Meinungsumfragen stehen zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung hinter ihm. Seine Popularität läßt sich nur noch mit derjenigen des Staatengründers Tomáš G. Masaryk vergleichen. Zugleich jedoch bestimmt er seit dem Rücktritt seines stärksten Gegners, Ex-Premier Václav Klaus, auch das tagespolitische Geschehen. Die größte Partei, die Klaussche ODS, ist zerschlagen, nur noch 6 Prozent werten ihre Leistungen als positiv. Die von den ODS-Abtrünnigen gegründete Freiheitsunion wird von einem Ex- Dissidenten dominiert, die zu alten Vertrauten des Präsidenten zählen. Der Vorsitzende der Christdemokraten durfte für Havel die Bildung der neuen Regierung durchführen, die Regierung selbst gilt als eine, die mit Leuten Havels besetzt ist.

Havel also steht auf dem Höhepunkt seiner Macht, doch was hat das Land davon? Nach dem Rücktritt der Regierung Klaus befindet es sich in der größten Orientierungskrise seit der Wende. Was acht Jahre lang als gut galt, die neoliberale Politik des Thatcher- Fans, muß nun als Erklärung für alle wirtschaftlichen Probleme herhalten. Doch was das Prinzip des „Alles geht“ ablösen soll, weiß niemand. Natürlich müssen die Korruption bekämpft und die Privatisierung zu Ende geführt werden. Doch die Korruption war ja gerade während der Privatisierung sowohl ein personelles wie auch ein systemimmanentes Problem. Havel äußert sich hierzu nicht. Was nicht weiter verwundert. Mehr als einmal brüstete er sich damit, keine wirklich feste politische Überzeugung zu haben und das System der Parteiendemokratie im Grunde abzulehnen. Schon immer gefiel er sich in der Rolle desjenigen, der lieber über „Moral“ und „Wahrheit“ redet. Zu vieles erinnert hierbei an die oppositionellen Jahre, als es noch leicht war, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und gesellschaftliche Interessen sich eben nicht in Parteien organisierten. Wo aber liegt die Wahrheit bei der Reform des Gesundheitssystems? Heute könnte sich das Land an einem philosophierenden Präsidenten nur noch dann mit Recht erfreuen, wenn er bloß ein König und nicht so viel mehr wäre. Sabine Herre