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Das Geschwür im japanischen Kino

■ Takeshi Kitano, Regisseur und Hauptdarsteller von Hana-Bi, über abgehackte Finger und Lady Di

Leben und Sterben in Tokio. Mit einem Blick, leerer als sein Pistolen-Magazin verrichtet der Polizist Nishi, gespielt von Takeshi Kitano unter eigener Regie, in Hana-Bi seinen pleitenreichen Dienst. Als sein Kollege bei einem Einsatz halbtot geschossen wird, Nishis Frau an Leukämie erkrankt, wirft Nishi die Dienstmarke hin und zieht als bewaffneter Sozialarbeiter in die Schlacht gegen die sozialdarwinistische Hackordnung im Nipponland. Mit einem Banküberfall stockt er die Sozialhilfe für den nun querschnittsgelähmten Horibe auf. Der Rest dieser rabiaten Variante privatwirtschaftlicher Wohlfahrtsinitiative ist für eine letzte Reise mit seiner todkranken Frau. Hana-Bi ist eine eindrucksvoll montierte Geschichte, die statt großer Gefühle und kleinmütiger Einsichten den Pathos des Abstrakten feiert. Dafür gab es in Venedig für den Regisseur, Schauspieler und Medienstar Takeshi Kitano den Goldenen Löwen.

taz : Der Bindestrich in „Hana-Bi“ist entscheidend. Er teilt das japanische Wort „Hanabi“für „Feuerwerk“in das Begriffspaar „Blume“und „Feuer“. Ist er auch programmatisch für das Schnittmuster, mit dem Sie ihre Gegensatzpaare Cops/Gangster, Stadt/Land, Stille/Explosion montieren?

Takeshi Kitano: Dieses dialektische Spiel, die abrupten atmosphärischen Wechsel kommen sicher auch aus dem japanischen Kabuki-Theater und der semantischen Montage des Schriftzeichens. Ich glaube tatsächlich, daß zum Beispiel die Gewalt sich in Hana-Bi in Montageschüben ereignet. Dennoch ist die Brutalität in Nishis Alltag und das Poetische des Films nie ganz voneinander zu trennen. Auch der Moment unmittelbarer Gefahr und Todesangst kippt leicht ins Absurde, Komische und Burleske um. Und einer, dem eine Knarre in den Mund gesteckt wird, sieht schließlich nicht nur verzweifelt, sondern auch komisch aus. Hana-Bi schwingt von dem einen zum anderen. Um zum Humanen und Liebevollen zu gelangen, muß man eben durch eine Menge rüder Bilder.

Cops oder Gangster, beide treten unterhalb der Gürtellinie zu, kämpfen mit miesen Tricks oder überfallen Banken. Welchen Unterschied gibt es überhaupt noch in Ihren Filmen zwischen Polizisten und Yakuzas, außer vielleicht dem, daß die Killer die besseren Anzüge tragen ?

Yakuzas oder Polizisten, beide leben längst von Legenden. Ihre Rituale sind ins Phantastische gedriftet. Genauso werden in Japan auch alte Lehren dazu benutzt, marktwirtschaftliche Strategien fadenscheinig mit traditionellen Werten zu versöhnen. Auch die Familie, die immer als sozialer Eckpfeiler hochgehalten wird, ist ein verlogener Begriff. Das kann man auch an Nishis Kollegen Horibe sehen. Seit dem gescheiterten Einsatz ist er gelähmt und eben überhaupt nicht mehr in der Lage, seine Familie zu ernähren. Das ist in Japan nicht anders als in westlichen Ländern.

Sie selbst hatten 1994 einen schweren Motorradunfall und begannen danach, wie Horibe, zu malen. Ihre Bilder haben Sie in die Handlung von „Hana-Bi“eingewoben. Manchmal sehen sie aus wie die Karten eines übergeordneten Schicksalsdeuters. Sind Ihre Figuren etwas Höherem unterstellt?

Mit den Bildern wollte ich ein poetisches Band zwischen Nishi und Horibe spannen. Die Gemälde nehmen Geschehnisse aus beiden Lebensläufen vorweg oder kommentieren sie. Tatsächlich haben Hana-Bi und auch meine Bilder eine schicksalhafte Verbindung, – und jetzt werden Sie staunen – nämlich zu Lady Di. Genau wie sie war ich nämlich damals auf der Flucht vor Paparazzi, die nicht wissen sollten, mit welcher Frau ich mich gerade getroffen hatte. Das wäre etwas, naja, sagen wir, delikat gewesen. Um die Paparazzi abzuhängen, wechselte ich vom Auto aufs Motorrad und stürzte ganz unglücklich. Und als ich den Preis in Venedig erhielt, war das kurz nach Dianas Autounfall. Das ist doch wirklich seltsam.

Wie ist Ihr Verhältnis zum japanischen Kino?

Ich hasse das populäre Kino in Japan, und die japanische Filmindustrie haßt mich. Der japanische Film hat jede Souveränität aufgegeben und schielt mit einem Auge immer mehr auf eine Verwestlichung. Ich sehe meine Produktionen daher eher wie ein Geschwür, das die Maschinerie der Massenproduktionen hoffentlich etwas zersetzt.

Aber die frühen Yakuza-Filme müßten Ihnen doch gefallen.

Ja, weil sie die Dynamik und das Verspielte von Comics haben. Außerdem bin ich in downtown Tokyo groß geworden, also da, wo die Vorbilder für diese Geschichten frei herumliefen. Um ehrlich zu sein, mein Vater war selbst fast ein Yakuza. Der wußte Geschichten zu erzählen.

Welche denn zum Beispiel?

Eine Anekdote, die ich immer gerne weitererzähle, ist die von einem kleinen Yakuza, der in das Haus eines großen und wichtigen Yakuza eintritt. Aus irgendeinem Grunde soll der kleine Gangster bestraft werden. „Du hast dich schlecht benommen, deswegen wird dir der kleine Finger abgehackt.“Bei diesem Ritual wird er obendrein von dem Hund des großen Yakuza fürchterlich angebellt. Und als er Wochen später noch einmal bei dem Chef zu Gast ist, sieht er, daß dem Hund an jeder Pfote ein Zeh fehlt. Mein Vater muß sich wohl immer ganz gut betragen haben, seinen kleinen Finger konnte er jedenfalls immer behalten. Fragen: Birgit Glombitza Birgit Glom

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