Worte eines kleinen Mannes

■ Bundesarbeitsminister Norbert Blüm beim Neujahrsempfang der Bremer CDU

Was für ein kleiner Mann. Als Bundesarbeitsminister Norbert Blüm am Dienstag abend beim Neujahrsempfang der CDU im Park-Hotel ans Rednerpult tritt, brechen Bremens Christdemokraten in johlendes Gelächter aus. Das Pult reicht dem 1,66 Meter großen Politiker bis über die Brust. Nur sein runder Kopf mit leicht geröteten Wangen und Schweißperlen auf der Stirn ragt hinter dem Katheder hervor. Kleiner Mann, was nun? Blüm lacht. CDU-Landeschef Bernd Neumann stellt dem Minister ein Podest vor die Füße. Blüm steigt auf den mit blauem Teppichboden beklebten Kasten und hat die Bremer CDU im Blick.

Vor dem Eingangsportal des Nobel-Hotels haben sich unterdessen eine Handvoll Demonstranten postiert. Um den Hals tragen sie selbstgebastelte Pappschilder mit der Aufschrift: „Fünf Millionen Arbeitslose sind genug.“

Doch die Arbeitslosigkeit ist für Blüm zunächst kein Thema. Er spricht lieber von der „aufregenden Zeit, in der wir leben“und macht einen Ausflug in die deutsche Geschichte. „1914 – hundsmiserable Zeit, 1933 hundsmiserabel, Naziterror. 1939 zweiter Weltkrieg. Millionen verloren ihr Leben und ihre Gesundheit. 45 – Deutschland ist dem Erdboden gleich. 1949 – Deutschland wird geteilt, in eine sozialistische Ausgabe und in eine freiheitliche.“Den Christdemokraten ist das Lachen vergangen. Fast andächtig lauschen sie den Worten des Ministers. „1990. Die Mauer fällt. Deutschland ist wieder einig Vaterland. Es ist das glücklichste Jahr in diesem Jahrhundert für die Deutschen.“Eine Frau wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.

Nach dem Krieg hätte auch niemand nach dem Staat gerufen, mahnt Blüm mit erhobenem Zeigefinger. „Immer, wenn ein Problem auftaucht, Staat, Staat“, schreit er. „Für was der Blüm nicht alles zuständig sein soll, für Liebeskummer, für Schweißfüße, für...“Die Worte des Bundesarbeitsministers gehen im tosenden Applaus unter.

Endlich kommt Blüm „auf das große Problem Arbeitslosigkeit“zu sprechen. „Freilich, da kann sich der Staat nicht auf die Zuschauerbank setzen“, räumt er ein. „Aber wir schaffen es nicht allein. Wir brauchen Unternehmer, die, wie das Wort schon sagt, etwas unternehmen. Arbeitgeber, die, wie das Wort schon sagt, Arbeit geben.“Vor allem in der Pflege könnten noch viele Arbeitsplätze geschaffen werden. „Um eine 80jährige zu füttern, bauchst du keine sechs Semester Psychologie. Da brauchst du eine ruhige Hand und ein gutes Herz.“Zustimmendes Kopfnicken bei den Damen. „Mama und Papa – die zwei schönsten Worte, die die Sprache überhaupt geschaffen hat“, redet Blüm wenig später der intakten Familie das Wort. „Maamaaa“, sagt Blüm, und während er mit wenigen Worten die kinderfeindliche Gesellschaft kritisiert, erobert er endgültig die Herzen der Damen. Doch auch für die Herren findet er warme Worte. „Schwielen an den Händen sind so viel wert wie ein Doktortitel“, sagt Blüm, selbst gelernter Werkzeugmacher und „Dr. phil“. „Unsere Rente, die verteidige ich“, verspricht der Bundesarbeitsminister zum Schluß. „Ich frag nicht, hast du ein Haus, hast du zwei Häuser, ich frag' nur, warst du solidarisch, dann bekommst Du auch Solidarität.“

Nach seiner Rede kniet Blüm auf dem Holzboden des Podiums vor den Damen und gibt Autogramme wie ein Popstar. Vor allem ältere Damen drängeln sich um die Unterschrift des Ministers. „Herr Blüm, Sie sind toll.“„Sie waren großartig.“„Weiter so.“Ein Mann wedelt mit einer CDU-Einladungskarte vor der Nase des Ministers herum. „Herr Blüm, Sie müssen auch mal an die Männer denken“, versucht er seinem Autogrammwunsch Nachdruck zu verleihen. Lächelnd unterschreibt der Minister die Karte. Dann steht er auf und geht – verfolgt von den Blicken der Damen. Was für ein Mann.

Kerstin Schneider