Mister Shock Value

■ Der Stand-up Comedian, Talkshowgastgeber und Sportreporter Takeshi Kitano war außerhalb Japans bislang kaum bekannt. Mit seinem neuen Film "Hana-Bi" wird sich das ändern

An klaren Etiketten hat es keinen Mangel. Weder für den Mann noch für seine Filme: „Mister Shock Value“ wurde er genannt, und zur Charakterisierung seines Kino-Universums mußte auch schon mal Wagner und die „Gangsterdämmerung“ herhalten. Die Vokabeln, die seine Arbeiten umstellen, machen glauben, daß es sich nur um eine japanische Spielart jener „Ist-doch-alles-nur-Spaß- Killer-Movies“ im Umfeld von Tarantino und John Woo handelt, zu deren Bruder (manchmal auch Paten oder Vater) er gern gemacht wird.

Nicht, daß seine Filme gewaltlos wären, im Gegenteil. Manche Titel vermögen die Erwartungen aufs trefflichste zu formatieren, so „Boiling Point“ (1990) oder „Violent Cop“ (1989); aber nur, um sie im Verlauf eines Films immer wieder zu dekonstruieren – von Film zu Film immer unbekümmerter.

Der gewaltsame Augenblick, das ist bei Kitano eine im Kino noch nie gesehene Mischung aus Ritual, Stümperei und Versehen. So als würden die Akteure – von ihrer Kleidung her durchaus Men in Black, also cool, aber doch eher unelegant – völlig neben sich stehen: wie tollende Kinder, die stoisch in die ernste Mission ihres Spiels versunken sind und doch jeden Moment auf ein ganz anderes Spiel verfallen könnten. Wesen, die digital, nicht analog funktionieren. Um diesen Effekt zu erreichen, schreckt Regisseur Kitano auch nicht davor zurück, seine Darsteller schlicht zu beschwindeln: „Fast alle Schauspieler neigen dazu, schon vorher anzudeuten, was sie tun werden: Wir drehen eine Schießerei, und die Akteure geben bereits zehn Sekunden im voraus mit jedem Gesichtszug und jeder Geste den entschlossenen Killer zu erkennen. Wenn ich mir gar nicht mehr anders zu helfen weiß, sage ich ihnen einfach: ,Also, ich habe das Drehbuch geändert. Ihr seid überrumpelt worden und werdet in Schach gehalten. Ihr ergebt euch und zieht eure Waffen, nicht um auf eure Gegner zu schießen, sondern um sie abzugeben.‘“ Die Schießerei, die er in „Sonatine“ (1993) auf diese Weise gefilmt hat, ist im wahrsten Wortsinn furchtbar: Da stehen sich sorgfältig und klar im Raum arrangierte Männer wie harmlose (!) Pulverfässer (!!) gegenüber. Und plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, kippt die Situation um, und die gewalttätige Auseinandersetzung bricht los. Tote bleiben liegen. Eine Frau wird vergewaltigt.

Sieben Filme hat er bisher gedreht – und sich schon längst als Meister etabliert. In vier von ihnen fungierte er als Hauptdarsteller, Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Cutter. Überhaupt ist Takeshi „Beat“ Kitano in Japan seit über 20 Jahren ein überaus vielbeschäftigter und beliebter Mann, ein Komiker, Talkshowgastgeber und Sportreporter mit regelmäßig sechs bis acht TV-Auftritten pro Woche. (Auf der Biennale, wo seit 1992 sukzessive alle Filme Kitanos gelaufen sind – um dann doch nie ins Kino zu kommen –, sagte ein österreichischer Kollege, man müsse sich einmal vorzustellen versuchen, Thomas Gottschalk und Michael Hanecke seien ein und dieselbe Person.) Daß Kitano überhaupt Filme macht, wird im Land der aufgehenden Sonne eher mit nachsichtigem Desinteresse zur Kenntnis genommen. Kitano selbst jedoch meint, daß er erst seit er Regisseur ist – also seit „Violent Cop“ (1989) – wirklich Ernst macht. Sein überwiegend stummes Spiel und sein Inszenierungsstil sind gelegentlich abenteuerlich falsch – und gerade darin großartig: so als hätte Robert Bresson „Dirty Harry“ mit Louis de Funès in der Rolle eines Doppelgängers von Buster Keaton verfilmt. Undenkbar? Genau das aber sind Kitanos Filme in ihren besten Momenten – undenkbar.

Alltagsszenen, die im Genre des Gangsterfilms, und zumal in jener Spielart, wo es um die Yakuza geht, meist nur nebensächlich sind beziehungsweise nur als ferner Nachklang vorkommen, erhalten bei Kitano oft den Status von Hauptsachen. Über weite Strecken sind seine verspielten und zugleich strengen Gangsterfilme provozierend langsam, als würde er narrative Rückstaus produzieren und den Genreliebhabern das Futter verweigern.

Es fällt einem der Satz von Joachim Schickel ein, den Frieda Grafe in einem Text über Ozu zitierte: „In Alternativen denken ist europäisch. Ostasien denkt in Gegensätzen, die einander ablösen, widerstreitend in Harmonie.“

„Hanabi“, wie Kitanos neuester Film heißt, bedeutet Feuerwerk. Wobei der Titel, in lateinische Umschrift gebracht und unüblicherweise mit einem Gedankenstrich versehen, das Wort in seine gegensätzlichen Bestandteile zerlegt: Hana (wörtlich: Blume) bedeutet Leben, Bi (wörtlich: Feuer) steht für Schüsse, und der Gedankenstrich, der die Worte trennt und verbindet, ist Symbol des Todes.

Kitano läßt einen nicht vergessen, daß jede Revolverkugel ein Gewicht hat. „Im Actionkino wird viel geschossen und getötet – und es bedeutet nichts“, sagt er. Die ständig spürbare Anwesenheit des Todes in seinen Filmen bewirkt dagegen, die Kostbarkeit des Lebens deutlich zu machen. Es sind Haikus in der Form von Gangsterfilmen. Ralph Eue