Über Wedel reden

■ Mit zuletzt 10 Millionen Zuschauern endete der "König von St. Pauli" als Quotenknüller

Natürlich haben wir dann doch alle alles geguckt. Obwohl das „TV-Ereignis des Jahres“ zunächst ja kaum mehr als eine dreiste Behauptung war. Darin waren sich in der letzten Woche noch alle einig. Sicher, auf Breloers „Todesspiel“ hatte die Nation gewartet. Aber eine St.-Pauli-Saga? Plot berechenbar, Figuren unauthentisch, Kulisse aseptisch, versicherten wir uns nach der ersten Folge gegenseitig. Mal sehen, wie es weitergeht. Auch mit den Quoten.

Die waren dann allerdings ein Ereignis: Denn die 9 Millionen Zuschauer blieben mit nur geringen Verlusten bis zum Schluß bei der Stange. Den letzten Teil sahen gar 10,21 Millionen Menschen. Die Medien hängten sich an den Erfolg, zeigten vollbusige St.-Pauli- Reportagen und holten den „echten König“ vors Mikrofon, damit er darauf bestehe, daß Wedels Märchen „Käse“, weil unrealistisch sei. Als hätten wir das nicht schon vorher gewußt.

Dafür entwickelten sich andere Gespräche, vor allem über einzelne Darsteller. Spielte Heinz Hoenig seine Kollegen nicht doch zu sehr an die Wand? fragten wir uns erst, beschlossen dann aber, Hoenigs Sugar halte letztlich die ganze Bagage zusammen. Hatten wir Maja Maranow anfangs doch zu sehr unterschätzt? Und dann die Stemberger! Kann nicht jemand dafür sorgen, daß die mit dem Singen aufhört? hieß es zuerst. Bis die Onanie-Nummer kam. Da wurden die Bewertungstäfelchen gezogen wie beim Eiskunstlauf. Stemberger: fünf Komma neun, fünf Komma neun, sechs Komma null, vier Komma neun. (Hey, wer war das?!)

Das Reden über Fernsehen ist ein Teil des Fernsehens. Da gibt es zum einen die Weltereignisse, die das Fernsehen in unseren Augen zum „Fenster zur Welt“ machten: 1953 die Krönung Elizabeth II., ein Jahr später das WM-Endspiel von Bern, zuletzt Dianas Beerdigung. Daneben begann der „Zauberspiegel“, seine eigenen Ereignisse zu inszenieren: Durbridge-Krimis fegten in den 50ern die Straßen leer – bis Wolfgang Neuss mit seinem Hochverrat allen den Spaß verdarb. Die Romanadaption „Soweit die Füße tragen“ begründete einen wahren Boom mehrteiliger Literaturverfilmungen: Praktisch den gesamten Thomas Mann haben wir so weggeguckt!

Worüber das Publikum redet, während es guckt, ist oft nicht vorhersehbar. Bei Rainer Werner Fassbinders 14-Teiler (!) „Berlin- Alexanderplatz“ wurde die ausgeleuchtete Düsternis zum Skandalon. Bei Edgar Reitz' „Heimat“ staunte man dagegen nur ein wenig über die untelegene Handschrift des Meisters.

Mit der Konkurrenz der Sender im Dualen System ist es schwerer geworden, ein großes Publikum über sechs Folgen auf das gleiche Programm zu verpflichten. Und wenn, dann traute man das bis letzte Woche eher ARD und ZDF zu – wird dort doch ohne Werbeunterbrechung gesendet. Unerwartet hat es Sat.1 mit dem „König von St. Pauli“ jetzt erreicht, daß wir fast 14 Stunden lang unverdrossen hingeguckt haben – zweieinhalb davon Werbung. Was haben wir gelacht, als sich der Dr. Wedel über die vielen Werbeinseln beschwerte. Wie sonst hätte ihm Sat.1 denn seine überzogenen 23 Millionen Produktionkosten refinanzieren können!

Natürlich hätte Wedel seinen Stoff auch in den ursprünglich geplanten vier Folgen erzählen können. So ist das eben, wenn Buch und Regie in einer Hand liegen, warfen einige besserwisserisch ein. Andererseits liegt der Reiz des Projekts (und unsere Faszination für unser eigenes Durchhaltevermögen) auch in dieser maßlosen Gigantomanie.

Kurzum: Wir haben uns in dieser Woche wider Erwarten doch gut unterhalten. Aber bemerkenswerterweise nie darüber, wie die Story wohl ausgehen würde. Und schon am nächsten Morgen war es schwer, auch nur die letzte Folge zu erinnern. In Erinnerung bleiben einzelne, gelungene Szenen: Nett, wenn das ungleiche Quartett im St.-Pauli-Krankenhaus um Sugar bangt; herzergreifend die ausschweifende Beerdigungsszene. Und dann die kleinen lustigen Einfälle: Ein Haudegen stirbt mitten im Schußfeuer an Herzinfakt! Die wenigen Ungenauigkeiten: Das Wettbüro wäre in Deutschland verboten! Das hätte illegal sein müssen! Und die unendlich vielen dramaturgischen Endlosschleifen, in denen alles doppelt und dreifach erzählt wurde (Teach me, Tiger!!).

Trotzdem! Es war nett, mit den Kollegen an der Kaffeemaschine mal wieder ein richtiges Thema gehabt zu haben. Sat.1 hat sich unsere Kommunikationslust zunutze gemacht und uns mit einem stattlichen Werbeaufwand, einer großzügigen Preis-Leistungs-Schere und dem Ruhm eines großen Namens ein Fernsehereignis angeboten. Prompt wurde es eins. Wir haben uns gut unterhalten. Sat.1 hat gut verdient. So sind alle auf ihre Kosten gekommen. Aber langweilig war es streckenweise trotzdem. Klaudia Brunst