■ Eine Studie der Beiruter Soziologin Dalal al-Biziri über Frauen in der libanesischen Hisbollah thematisiert die Gratwanderung zwischen islamischem Modernismus und Traditionalismus Von Mona Naggar
: Der stille Aufbruch unterm Schleier

Auch die Frauen der islamistischen Hisbollah, die sich bewußt zum politischen Islam bekennen, sind von modernen Frauenbildern geprägt: Berufstätigkeit, Orientierung außerhalb der Familie, Selbstbewußtsein. Aber trotzdem bekennen sie sich zu traditionellen, islamischen Werten und fordern nur ganz bedingt ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann.

Die Mutter zeigte nach dem Tod ihres Sohnes keine Trauer. „Sie sagte, sie wäre glücklich, wenn der jüngere Sohn den Weg seines älteren Bruders einschlagen würde“, beschrieb der Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah die Gefühle seiner Frau auf den Tod ihres gemeinsamen Sohnes Hadi (18). Vor wenigen Monaten ließ der Tod Hadi Nasrallahs die Welt aufhorchen. Er war der älteste Sohn des Generalsekretärs der Hisbollah und kam bei einem Einsatz der Organisation gegen Israel ums Leben. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel bekundete der Vater seinen Stolz und bezeichnete den Tod seines Sohnes als einen Sieg der Hisbollah. Auch der jüngere Bruder hätte bereits den Wunsch geäußert, es dem älteren gleichzutun. Was die Frau des Generalsekretärs und Mutter der beiden Söhne wohl denke, fragte der Journalist. Man erfuhr es nur – wie oben zitiert – von Hassan Nasrallah. Die Antwort gab das Bild, der in Gottes Willen ergebenen muslimischen Frau perfekt wieder. Bereitwillig opfert sie ihre Söhne für den Kampf gegen den Feind.

Der Südlibanon ist vor allem durch den Krieg in die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit gekommen. Die Auseinandersetzungen zwischen dem israelischen Militär, das dort seit 1985 die sogenannte Sicherheitszone besetzt hält, und der libanesischen Seite – hauptsächlich vertreten durch die Hisbollah-Milizen – halten seit 15 Jahren an. Im Mittelpunkt des Medieninteresses stehen natürlich die Kämpfer und die Entscheidungsträger der schiitischen Miliz der Hisbollah. Die Frauen der Hisbollah sind Beiwerk. Sie bleiben im Hintergrund, auch des Medieninteresses. Sie bedienen allenfalls Klischees. Wie die Mutter, die – im Fall von Nasrallah – bereit wäre, beide Söhne für die Bewegung zu opfern. Oder sie verkörpern in ihrer islamischen Kleidung – Tschador oder Kopftuch und langer Mantel – die Strenge und Radikalität der Anhänger.

Dalal al-Biziri, Soziologin an der libanesischen Universität in Beirut, legte jetzt erstmals eine Studie vor, in der sie sich mit Aktivistinnen der Hisbollah auseinandersetzt. Sie läßt sie selbst zu Wort kommen, fragte nach ihrer Biographie, ihrer politischen Arbeit, ihren Vorstellungen von der Gleichheit der Geschlechter, ihrem Zugehörigkeitsgefühl zum libanesischen Volk und nach ihren religiösen Zweifeln. Was Dalal al-Biziri erfuhr, entspricht nicht dem Bild der unterwürfigen Muslimin.

Sie zeigt selbstbewußte und ehrgeizige Frauen; etwa Dschamila: Sie ist 32 Jahre alt, unverheiratet, studierte Psychologin und arbeitet in einer Krankenschwesternschule der Hisbollah. Klar, daß auch sie in den Frauengremien der Partei politisch aktiv ist. Oder Lamia, Mutter zweier Kinder und Leiterin einer von ihr gegründeten Schule.

Alle befragten Frauen gaben an, daß sie bei der Umsetzung ihrer beruflichen Vorstellungen auf keinerlei Schwierigkeiten seitens ihrer Eltern gestoßen seien. So unterscheiden sich die Biographien dieser Frauen nicht von denen gleichaltriger libanesischer Frauen der Mittelschicht mit christlichem oder sunnitischem Hintergrund. Die Soziologin Dalal al-Biziri gibt zu bedenken, daß zahlreiche Frauen von nationalistisch-arabischen und modernistischen Strömungen beeinflußt worden seien, als diese die politische Landschaft im Libanon und in der arabischen Welt noch unhinterfragt dominierten und prägten. Besonders im Libanon hatten westliche Werte und Einflüße fußgefaßt. Nach Meinung der Forscherin hat dieser Einfluß den Zugang auch der islamistischen Frauen zur politischen Arbeit und in die Öffentlichkeit beträchtlich erleichtert. Das Motiv für das politische Engagement der Hisbollah-Aktivistinnen, besteht bei den meisten darin, den Islam zu verbreiten. Nur Randa, eine der von al-Biziri befragte Frauen, die lange Jahre im Süden des Landes in palästinensisch-libanesischen Organisationen gegen Israel kämpfte und anderthalb Jahre in israelischer Gefangenschaft war, gibt an, in erster Linie gegen Israel kämpfen zu wollen. Der Islam bestärkt sie darin: „Wenn ich starkem israelischen Druck ausgesetzt bin, sage ich mir, daß Gott befohlen hat, zu kämpfen, und denke an Hussein, an den Propheten Muhammad und an andere Propheten, die alle für ihre Sache gelitten haben. Dann schaffe ich es, weiterzumachen.“

Alle von Dalal al-Biziri befragten Frauen sind davon überzeugt, daß sie den „wahren“ und „revolutionären“ Islam vertreten, der sie geradezu verpflichtet, in der Öffentlichkeit aktiv zu werden. Ihre Rolle in der Öffentlichkeit schreiben sie aufgrund ideologischer Bedenken nicht dem Modernisierungsprozeß der Gesellschaft zu, sondern erklären ihn aus ihrer Religon: Der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini hat, nach Meinung der Hisbollah-Aktivistinnen, dem Islam sein wahres Gesicht zurückgegeben. Nach einer langen Phase der Dekadenz, in der auch die Rechte der Frauen mit Füßen getreten worden seien. Alya, die Verantwortliche für die Frauenorganisationen bei der Hisbollah, meint, daß Chomeini die Frauen ermutigte, den häuslichen Bereich zu verlassen und überall aktiv zu werden. So wird verständlich, daß diese Frauen die islamische Republik als Musterstaat betrachten. Der geistige Führer der Hisbollah, Muhammad Hussein Fadlallah, so erläutern die Frauen, habe die Frauenpolitik Chomeinis im Libanon eingeführt. Er habe in seinen Predigten und Büchern die politische Arbeit der Frau außer Haus ausdrücklich erlaubt: „Die Rolle der Frau im Haus hat eine wesentliche Bedeutung, ebenso wesentlich aber ist ihre Rolle in der Gesellschaft.“ Und Fadlallah bleibt für die Frauen die oberste religiöse Autorität.

Vorbild in der Lebensführung ist für die Mehrzahl der Frauen Fatima, die Tochter des Propheten. Ein unerreichbares Vorbild, wie al-Biziri meint, weil Fatima in der schiitischen Überlieferung als unfehlbar gilt und die historischen und religiösen Zusammenhänge sich grundlegend geändert hätten.

Dagegen ist die 43jährige Asma, die an einem staatlichen Gymnasium Chemie unterrichtet und nebenbei noch den Religionsunterricht an einer Hisbollah-Schule koordiniert, der Überzeugung, die Umstände hätten sich seit Fatimas Zeiten in der Mitte des 7. Jahrhunderts nicht geändert: „Wir sehen uns heute mit den gleichen Dingen konfrontiert wie damals. Wir erleben die gleichen rückwärtsgewandten Ideen der vorislamischen Zeit, wie die Araber in der ersten islamischen Epoche. Unsere politische Lage gleicht der damaligen Lage in Medina (die erste Hauptstadt der Muslime).“

Trotz der klaren Hinwendung der Frauen zum politischen Islam nach Prägung des Iran – und damit der Hisbollah –, bewahren sie auch eine kritische Haltung gegenüber der Organisation. Dschamila beispielsweise kritisiert die Hisbollah-Anhänger, die nach wie vor Ehefrauen bevorzugen, die sich nicht durch außerhäusliche Aktivitäten auszeichnen. Sie suchten Frauen zum Kindergebären, Kochen und Führen des Haushalts. In ihrer Lebensplanung ist Dschamila konsequent. Da das gesellschaftlichen Engagement Priorität hat, will sie unverheiratet bleiben. Noch fand sich kein Mann, der mit ihr und ihrer Arbeit leben wollte. Asma klagt den orientalischen Mann im allgemeinen an: Nachdem sich die muslimische Frau ihrer, innerhalb des islamischen Rechts bestehenden Rechte bewußt geworden sei, bleibe ihr nur noch die Doppelbelastung. Für ihre Arbeit und ihr Engagement außerhalb des Hauses muß sie teuer bezahlen.

In ihrer Studie stellt die libanesische Soziologin al-Biziri fest, daß die von ihr befragten Hisbollah-Anhängerinnen sich in ihren Ideen und Verhaltensweisen auf moderne und auf islamisch-traditionelle Konzepte stützen, die sich scheinbar widersprechen. Einerseits zählten sie die Gleichheit der Geschlechter zu den wichtigsten Grundsätzen ihrer Arbeit. Auf der anderen Seite wollten sie keine wirtschaftliche Unabhängigkeit und sahen dieses Motiv als unwesentlich für ihre Arbeit an.

Ähnlich verhält es sich, laut al-Biziri, mit den islamischen Kleidungsvorschriften für Frauen: Die Kopfbedeckung und der lange weite Mantel seien für sie weit entfernt von Traditionalismus. Sie grenzten sich bewußt ab von allen Frauen, die sich lediglich aus Pflichtgefühl gegenüber ihrer Umgebung daran hielten. Der „Hidschab“ (Schleier) hat für sie eine befreiende Dimension. Hind, politisch bei der Hisbollah aktiv, sagt dazu: „Ich bin dadurch in meinem Leben effektiver geworden und gleichzeitig habe ich meinen Körper befreit.“

Ein weiteres Beispiel für die Dualität von Modernismus und islamischem Traditionalismus ist ihr Kampf um eine emanzipierte Lebensweise im Privaten und in der Gesellschaft auf der einen Seite sowie ihre Unterwerfung unter eine männliche religiöse Autorität auf der anderen Seite – eine Art kontrollierte Befreiung, wie al- Biziri es nennt. Die Frage, an dem sich der Aufprall der beiden Konzepte am deutlichsten zeigt, ist der von al-Biziri konstruierte Fall eines Rechtsgutachtens: Wie würden sich die Hisbollah-Aktivistinnen verhalten, wenn ihre oberste religiöse Autorität die Arbeit der Frau außer Haus verbieten würde? Zu den Reaktionen der Frauen sagt die Soziologin: „Ich habe Unruhe bemerkt und vereinzelte Anzeichen von Rebellion. Die Antworten schwankten zwischen Hinnahme und Ablehnung, aber beides mit einem vorangestellten Vielleicht. Eine tiefe Sorge ist unübersehbar, aber sie wird bedeckt gehalten.“

Eines der wichtigsten Ergebnisse, zu dem die libanesische Wissenschaftlerin durch ihre Studie über die Hisbollah-Aktivistinnen gekommen ist, und das sich nach ihrer Meinung auf die gesamte arabische Welt übertragen läßt, ist die Unmöglichkeit, zwischen Modernismus und Traditionalismus zu trennen. al-Biziri sagt: „Ich sehe nicht, daß der arabische Modernismus jemals den Traditionalismus abgelöst hat. Sie gingen vielmehr eine Symbiose ein, die nicht immer friedlich verlief.“ Was für den Libanon gilt, gilt offenbar auch für die gesamte islamische Welt.

„Wir müssen sehen, daß die Moderne niemals wirklich angenommen wurde“, meint die libanesische Soziologin. „Jeder von uns, auch wenn er sich modern gibt, trägt in sich einen traditionellen Teil. Umgekehrt gilt das gleiche.“ Die islamistischen Bewegungen heute gehen mit der Zeit. Sie halten zwar urislamische Grundsätze hoch, etwa die Umsetzung der Scharia, aber gleichzeitig beteiligen sie sich an Wahlen und gründen Organisationen und Verbände, die sehr modern anmuten. „Die Islamisten sind gezwungen, sich anzupassen. Die Frauen haben dies erkannt. Sie haben einiges von den modernen Strömungen übernommen und mit einem islamischen Deckmantel versehen“, so al-Biziri.

Sie äußert sich allerdings wenig zuversichtlich über die Zukunft der islamistischen Frauenbewegung innerhalb der Hisbollah: „Ich denke, es steht ihnen genau das bevor, was die aktiven Frauen in nationalen modernen Bewegungen erlebt haben. Nachdem die Bewegungen an die Macht gekommen waren, haben sie festgestellt, daß ihre Rückkehr ins Haus zum Plan gehörte. Aber eines bleibt: Die Frauen haben Wissen erworben und wichtige Stellungen in der libanesischen Gesellschaft errungen.“ Sie gewinnen als Ärztinnen, Soziologinnen, Lehrerin zunehmend an Einfluß.s