Freiheit für italienische Händler

Jeder darf fortan in Italien ein Geschäft eröffnen, wo immer er will. Die Kleinhändler fürchten durch die Gewerbefreiheit die Konkurrenz und Schikanen der Mafia  ■ Aus Rom Werner Raith

Was in vielen anderen Ländern seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, versucht nun auch Italien – mit möglicherweise verheerenden Folgen. Die volle Gewerbefreiheit, hat das linksliberale Kabinett Prodi verkündet, werde spätestens zum 1. Januar 1999 auch in Italien Wirklichkeit – zumindest für den Kleinhandel. Will heißen: Wo bisher im Schnitt ein Dutzend Genehmigungen, Gutachten und Einverständniserklärungen vonnöten waren, kann nun jeder, der will, ein Geschäft aufmachen. Ausgenommen sind lediglich Geschäfte über 300 Quadratmeter und solche, für die aus gesundheitspolizeilichen Gründen eine Erlaubis nötig ist, also Lebensmittelgeschäfte, Fleischereien und Fischhandlungen. Geschützt bleiben auch Apotheken und Buchhandlungen.

Doch wo nun nach Regierungsmeinung an sich eitel Freude und unternehmerische Aufbruchstimmung herrschen sollte, macht sich Sorge und Verzagtheit breit. Lediglich die Verbraucherorganisationen freuen sich – die Kaufmannsvereinigungen dagegen sprechen bereits vom „möglichen Todesstoß für den Kleinhandel“. Was vom Ausland her, insbesondere in Ländern mit gewerbefreiheitlicher Tradition, recht unverständlich erscheint: die Befürchtungen der Händler könnten durchaus eintreffen. Statt befruchtender Konkurrenz könnten am Ende alle kleinen Geschäfte eingehen.

Bisher hatten Ladengeschäfte, kleine Reparaturwerkstätten, Espressobars oder Juwelierläden eine Art Gebietsschutz. Konkurrenten mußten einen gewissen räumlichen Abstand halten. Die Gemeinde konnte überdies die Überladung ihres Gebietes mit gleichorientierten Geschäften verhindern, indem sie die Zulassung verweigerte.

Das hat am Ende zwar auch nicht zur großen Blüte der so Protegierten geführt, aber immerhin eine gewissen Sicherheit gegen geschäftlichen Raubbau und Aushebelung der Kleinen durch allzu massive Konkurrenz geführt. Anderseits aber hat es auch verhindert, daß die kleinen Geschäfte modernisiert wurden. Der Kampf gegen die vor zehn Jahren aus Gründen der steuerlichen Nachprüfbarkeit zwangsweise eingeführten Registrierkassen ist zum Beispiel bis heute noch nicht beendet.

Doch das Problem ist wesentlich komplizierter. Durch die fast noch zunftartige Organisation des Einzelhandels und das Gefühl, vor Konkurrenz geschützt zu sein, ist ein marktorientiertes Denken Mangelware. Dieses wäre aber Voraussetzung für eine sinnvolle Ausfüllung der Gewerbefreiheit. „Kreativität und Einfallsreichtum, die uns sonst doch in vielen Dingen nachgesagt werden“, meint Franco Sementa, Präsidiumsmitglied des Einzelhandelsverbandes der Provinz Latina, „findet sich bei uns in Sachen neue Geschäftszweige nur selten.“ Wenn irgendwo ein Laden aufgrund eines pfiffigen Angebotes gut laufe, dann würden binnen kurzem in der Umgebung zehn weitere Geschäfte des gleichen Typs und mit dem gleichen Outfit aufmachen. „Mit dem Erfolg, daß alle elf Pleite gehen“, meint Sementa. Das dürfte noch schlimmer werden, wenn die Nachahmer nun auch noch gleich neben dem Newcomer das gleiche Geschäft betreiben können, befürchtet Sementa.

Weiter im Süden herrscht noch eine andere Angst: „Bislang mußten kriminelle Organisationen, um Schutzgeld zu kassieren, zumindest mit Abfackeln oder Fensterscheibeneinschlagen drohen“, sagt Piero Grasso, Gründer einer Schutzorganisation für erpreßte Geschäftsleute in der Region Kalabrien. „Und das erfüllte einen Straftatbestand, den man, wenn man mutig war, immerhin anzeigen konnte.“ Nun aber bräuchten sie nur noch damit zu drohen, gleich nebenan ein Geschäft aufzumachen und den Erpreßten mit Dumpingpreisen ökonomisch zu vernichten. „Dann drohen die ja nichts Kriminelles mehr an, gegen das man sich wehren kann.“

Regierungschef Romano Prodi sucht inzwischen die verängstigten Einzelhändler zu beruhigen: „Es wird keinen Wilden Westen des Kleinhandels geben“, sagte er kürzlich, „doch mit dieser Deregulierung sind wir endlich auf europäischem Niveau.“ Der Präsident des gesamtitalienischen Einzelhandelsverbandes, Sergio Bille, kann darüber nur den Kopf schütteln: „Auch Konkurrenz braucht eine bestimmte Kultur, und die Regierung sollte sich zunächst einmal darum kümmern, diese Kultur erst mal zu schaffen.“