Die Gnade des kranken Humors

Haben wir nicht immer schon gewußt, daß Götz George der bessere Schwule ist? Mit „Das Trio“ setzt Hermine Huntgeburth auf ihren Starschauspieler und die ungebrochene deutsche Lust an der Komödie  ■ Von Anke Westphal

Das Schöne an den Film-Schwulen ist die ihnen zugestandene Fähigkeit, noch jede positive Manieriertheit übertreiben zu können und zu dürfen, selbst den Edelmut. Im Zuge vorauseilender politischer Korrektheit wird die Sympathiebereitschaft gegenüber Schwulen seitens der Regie und der Darsteller nicht selten übertrieben, was den Filmen nicht immer guttut. Hollywood-Produkte wie „To Wong Foo“, „The Birdcage“ und jetzt „In & Out“ verwöhnen die Zuschauer mit Märchen-Schwulen, die in sich ein Gutteil dessen vereinigen, was dem drögen Hetero tatsächlich abgeht oder auch nur abgesprochen wird: eine gewisse exzentrische Kultiviertheit, Phantasie und kreative Selbsterfindung und nicht zuletzt der Mut der Verzweifelten.

Bewegte Männer, sexuell flexible Polizisten und andere „echte Kerle“ hat auch der deutsche Film längst entdeckt, wobei letztgenannter Titel unbeabsichtigt das Erziehungsziel verrät: Schwule – so merke, o Zuschauer – sind auch ganze Männer. Die Beziehungskomödie reüssiert hierzulande bekanntlich: 22,3 Millionen Deutsche sollen laut Cinema allein 1997 Spaß an der deutschen Komödie gehabt haben, eine Zahl, der die Regisseurin Hermine Huntgeburth ebenso vertraut wie dem Star- und Kassenpotential von Götz George. „Das Trio“ von Huntgeburth ist zur Hälfte Schwulenfilm und – wie fast alle Schwulenfilme – zugleich auch eine integrativ intendierte Beziehungskomödie.

„Das Trio“ ist nun aber ein deutscher Film und deshalb natürlich ganz anders, oder doch nicht? „Schimmi“ George gibt im „Trio“ ganz gegen seine übliche Rollenprägung den Diva-Anteil eines alternden schwulen Paares, dessen Liebe sich mit den Jahren etwas abgenutzt hat. Doch immer noch zärtlich zieht Zabel seinem genierlichen Karlchen das Toupet von der Glatze, bevor es zum Äußersten kommt. Zabel (George) und Karl (Christian Redl) reisen mit Zabels Tochter Lizzie (Jeanette Hain) in einem Wohnwagen durch die Lande. Alle drei üben den ehrenwerten Beruf des Taschendiebs aus. Zabel und Karl flanieren betuchte Passanten über den Haufen, und Lizzie flitzt mit der Beute davon. Das geht so lange gut, bis Karl aus Gram um den untreuen Zabel tüttelich und depressiv wird, mehr oder minder mit Absicht unter ein Auto gerät und stirbt.

Von Luft und Liebe allein leben nur die Lilien auf dem Felde. So sehr der Unfall Zabel auch erschüttert, ein neuer dritter Mann (Felix Eitner als Rudi) muß her. Zabel ist kein prinzlicher Märchenschwuler. Seine Liebe zu Karl ist nicht frei von Grausamkeit, seine bodenlose Trauer um ihn schließt eine gewisse Hinterfotzigkeit nicht aus. Götz George ist als schwuler Zabel zurechtgemacht wie ein Nachfahre der Bewohner des Planeten der Affen, auf dem die Vorlage zu einem katholischen Heiligenbildchen herumgevögelt hat. Sein Haupthaar fällt leicht fransig ins Gesicht, aus dem die veilchenblauen Augen leuchten wie zwei Scheinwerfer, und auch sonst scheint Zabels vitales Fleisch großzügig behaart. Der Pelzbesatz seines Mantels ist es weniger. Deutsche Schwule leben nicht so glamourös und exzentrisch wie die aus Hollywood, sind dafür aber handfest.

Überhaupt hat Hermine Huntgeburth, Jahrgang 1957, der Figur des Zabel die Gnade des kranken Humors erwiesen. George darf ein Taschendieb sein, der seiner Gaunerin von Tochter zu Weihnachten ein ordentliches Portemonnaie kauft, statt es zu klauen. Die Tageseinnahmen verstaut Götz Zabel ordentlich unter der Matratze im Schlafabteil, das wiederum diskret mit einem Raschelvorhang vom Rest des Wohnwagens abgeteilt ist.

Huntgeburths „Trio“ weckt die Ahnung, daß nicht der Poltergeist, sondern das andere Ufer Georges eigentliches Metier ist. Ein scheuer Kuß im Männerwaschraum – hier Eitners Sehnigkeit, dort Georges sehnsüchtig vitales Fleisch –, so viel Erotik ist nicht oft. Wenn George unterm sich öffnenden Morgenrock kokett die Beine übereinanderschlägt, ist er in seiner anmutigen Zickigkeit unübertroffen.

„Das Trio“ hat nichts von der unerhört langweiligen Lustischkeit neuer deutscher Komödien. Kein Moderatorenschick wie in „Stadtgespräch“, kein „Apothekerin“/ nen-Staub, kein launiges Knastambiente wie in „Männerpension“ überwinden Realität durch ihr „Als-ob“. Das Setting des „Trios“ geriert sich aus der Kenntnis klappernder Rummelplätze, öder Fußgängerzonen und Oberhausen- Malls. Die soziale Selbstsicherheit des Gaunertrios steht zwar auf nicht ganz stubenreinem Fundament, ist aber unerschütterlich: Als Taschendiebe sind sie erste Garnitur.

„Warum soll meine Tochter nicht Taschendiebin werden, wenn sie das Zeug dazu hat?“ muß Zobel gedacht haben, als es um die gesellschaftliche Zukunft des Mädchens ging. Kein überflüssiger Dialog entzieht Zobels und Lizzies lauernden Blicken den Saft.

Besonders Jeanette Hain beeindruckt als Lizzie durch ausdrucksstarkes Schweigen. Von Hain hört man, daß sie – unerklärlicherweise – mehrmals durch die Aufnahmeprüfung für das Schauspielstudium fiel und jetzt Regie studiert. Glücklicherweise hielt ersteres Sherry Hormann („Irren ist männlich“) nicht davon ab, Hain in einem ARD-Melodram zu besetzen. Jeanette Hain ist für mich die vielversprechendste und wandlungsfähigste deutsche Neuentdeckung. Feminin geigte sie als „Cellistin“ ihrem jähen Ende entgegen. Eckig und vorgeblich unbeteiligt betreibt sie im „Trio“ als Taschendiebin mit der Rückhand Interessenpolitik und gibt sich dabei wie ein angeödetes Schulkind. Große Augen: Alle beide, Zabel und Lizzie, wollen den Neuen vernaschen.

Sie gucken nur, wenn Rudi sich an der Küchenspüle die Bizepse schrubbt, aber wie sie gucken – scheel wie die Haie auf ein blutendes Bein, wobei sie abwesend auf ihrer Stulle herumkauen, als sei es Rudis Zeh. „Das Trio“ zeichnet sich durch wenig Action und viel Melancholie aus. So traurig wie komisch ist, wenn Karl stirbt, wenn Zabel einsam altert, wenn Vater und Tochter einander wegen Rudi belauern.

Am Ende blinkt dann kein einsam Segel für Zabel, sondern die niedliche Karikatur einer Hetero- Homo-Großfamilie der Neunziger. Der Egoismus der Gefühle geht auch hier immer noch vor Aufgeklärtheit. An der Oberfläche scheint Lizzie den Kampf und Rudi gewonnen zu haben.

Die beiden haben Zabel ein Enkelchen beschert, das den Familienbetrieb fortführen soll. Ein begabtes Kind, es raubt die halbe Strandpromenade leer.

So laufen alle vier denn frohgemut den Strand entlang und der Zukunft entgegen. Und Rudi läßt Zabel hinter Lizzies Rücken seine Hand streicheln. Möglicherweise ist nichts unmöglich.

„Das Trio“. Regie: Hermine Huntgeburth. Mit Götz George, Felix Eitner, Jeanette Hain, Christian Redl u.a. BRD 1997, 90 Minuten