Brasilien bleibt der Rekordhalter

■ Jedes Jahr Zehntausende Quadratkilometer Tropenwald vernichtet

Rio de Janeiro (taz) – Über 60.000 Quadratkilometer Amazonas-Regenwald sind seit 1995 nach offizieller Darstellung vernichtet worden – zweimal Belgien oder anderthalbmal die Schweiz. Damit ist, wie Greenpeace-Direktor Roberto Kishinami aus São Paulo gegenüber der taz erklärte, die Mitte- rechts-Regierung des FU-Berlin- Ehrendoktors, Großgrundbesitzers und Staatschefs der achtgrößten Wirtschaftsnation, Fernando Cardoso, Rekordhalter bei der Tropenwaldzerstörung – selbst gemäß den amtlichen Zahlen. Und die sind laut Kishinami wenig aussagekräftig, in Teilen arg getrickst.

Denn berücksichtigt wurden nur die sogenannten Clear-Cut-Regionen, wo gar nichts mehr steht. Selektive Brandrodungen und Abholzungen blieben außen vor – zudem weiß jeder Experte, daß der Amazonien fotografierende Landsat-Satellit nicht bemerkt, wenn nur noch einige größere ausladende Bäume stehen, darunter aber alles kahlgeschlagen oder abgefackelt ist. Das Gebiet gilt dann noch als intakt – Biologen beziffern nicht erfaßte Regionen dieser Art auf bis zu 50 Prozent des von menschlicher Einwirkung betroffenen Amazonasgebiets. Exakte Untersuchungen, so Greenpeace, würden viel Geld und Personal erfordern – beides haben Brasiliens regierungsunabhängige Organisationen heute weniger denn je.

Laut Cardosos Umweltminister Gustavo Krause (Rechtspartei PFL) wurden 1995 über 29.000 Quadratkilometer vernichtet, im Jahr darauf erfreulicherweise nur 18.161 und 1997 schließlich gerade mal 13.037 Quadratkilometer. Für Greenpeace und die brasilianischen Umweltorganisationen ist vor allem letztere Zahl völlig wertlos: Vergangenes Jahr brannte Amazonien auch laut WWF-Angaben weit intensiver als in den beiden Vorjahren – dennoch wurden von der Regierung riesige Brandzonen überhaupt nicht berücksichtigt, ebensowenig jene Flächen, wo derzeit asiatische Holzfirmen Kahlschlag betreiben.

In Amazonien liegen Brasiliens größte Latifundien, vermutlich wird dort am meisten abgefackelt. Beweisbar ist das laut Greenpeace nicht, da entsprechende Landkarten gemäß einer politischen Entscheidung Brasilias unter Verschluß gehalten werden. Der gutorganisierten Bewegung MST von Brasiliens Landlosen wird in letzter Zeit immer wieder von Regierungsstellen vorgeworfen, der große Schuldige zu sein, da sie irgendwo ein Gebiet besetze und alles abholze. Kishinami weist das als „Unsinn und ein unakzeptables politisches Argument“ zurück. Jetzt kam heraus, daß Großgrundbesitzer Cardoso im Zuge der Agrarreform die großen und meist brachliegenden Latifundien ungeschoren läßt und nicht – wie gesetzlich vorgeschrieben – enteignet und verteilt. Der Staat selbst siedelt Landlose auch in Amazonien an und wäre damit auch für Abholzungen verantwortlich. Patricia Sholl