■ Die Türkische Gemeinde wollte Staatsknete zweckentfremden
: So deutsch wie die Deutschen

Skandal, Skandal? Lassen wir die Kirche im Dorf und bremsen den Schaum pharisäerhafter Empörung. Der Versuch der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Staatsknete abzuzocken, ist vor allem ein Zeichen gelungener Integration, ein Beweis, daß sie versiert mit dem Vereinsrecht, Finanzierungsmodellen und Förderprogrammen jonglieren kann und die Zuwanderer zu (fast) ganz normalen Deutschen geworden sind. Auch hätte sich der finanzielle Schaden, wäre der Coup denn geglückt, im unteren Bereich der landesüblichen Tricksereien bewegt.

Man könnte durchaus schnell zur Tagesordnung übergehen, drängte sich nicht die Erkenntnis auf, daß sich mit der Formel „Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt“ viele Türen, besser: Kassen öffnen lassen, allerlei Blödsinn rechtfertigen läßt. Sie sich hervorragend dazu eignet, Eigeninteressen gegenüber sich schuldig fühlenden Deutschen durchzusetzen. Gleichzeitig muß sich die Türkische Gemeinde, die für sich in Anspruch nimmt, den Großteil der hier lebenden Türken zu repräsentieren, einige Fragen gefallen lassen. Hat sie es wirklich nötig, wegen ein paar tausend Mark den guten Ruf zu ruinieren? Oder ist die Organisation gar nicht so mitgliederstark wie behauptet, sondern nichts anderes als eine pausbäckige Inszenierung ein paar cleverer Macher, die sich mehr Repräsentanz anmaßen, als ihnen in Wirklichkeit zukommt?

Die Einzelheiten rund um den „Finanzskandal“ legen darüber hinaus nahe, daß man die deutschsprachige Öffentlichkeit vor allem als nützliche Idioten begreift, die man bestenfalls mit Viertelinformationen versorgt, um sie dann problemlos zu instrumentalisieren. Anders lassen sich der deutschsprachige Schein und das türkischsprachige Sein der Ankündigungen des „Seminars“ beziehungsweise der Bundesdelegiertenkonferenz nicht interpretieren. Diese Doppelzüngigkeit ist leider kein Einzelfall. Es wäre an der Zeit für mehr Transparenz und Offenheit in beide (Sprach-)Richtungen. Die Türkische Gemeinde müßte eigentlich inzwischen bemerkt haben, daß die Zeiten des Die-werden-es-schon-nicht-mitkriegen vorbei sind.

Sollte hinter dem dilettantischen Abzockversuch allerdings die schiere Verzweiflung einer Minderheitenorganisation stehen, die ihre durchaus wichtige Vereinsarbeit nicht anders zu finanzieren weiß, dann ist das ein Thema, über das offensiv politisch zu debattieren wäre. In türkischer und in deutscher Sprache. Eberhard Seidel-Pielen