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■ Die Regierungskrise offenbart Rumäniens grundlegende MängelNicht europatauglich

„Formen ohne Gehalt“ – mit diesem Schlagwort kritisierte der berühmte rumänische Gelehrte Titu Maiorescu vor mehr als hundert Jahren die oberflächliche, sinnentleerte Westeuropa-Mimese der politisch-kulturellen Elite im jungen rumänischen Königreich. Die Formulierung machte in Rumänien Karriere wie kein zweites Wort. Und ein Ende dieser Karriere ist nicht abzusehen.

Wer heute den rumänischen Staat und die rumänische Politik studiert, der findet sie überall in großer Zahl – diese Formen ohne Gehalt. Staatsapparat und Verwaltung strotzen von Funktionen und Strukturen, die keinen Sinn haben außer den, ihrem Personal glänzende Titel zu verleihen und es zu besolden. Die Ineffizienz, mit der nicht nur in Behörden und Ministerien, sondern selbst noch im Palast des Staatspräsidenten gearbeitet wird, ist grotesk. Sitzungen des Parlaments verlaufen oft unter Mißachtung der Verfahrensregeln und mit der Wüstheit eines Kneipengelages. Parteien sind organisierte, von persönlichen Profitinteressen geleitete Oligarchien.

In dieses Panoptikum fügt sich auch die jetzige Regierungskrise ein. Vom Standpunkt des „nationalen Interesses“ aus, das rumänische Politiker fortwährend im Munde führen, ist der Konflikt zwischen der Bauernpartei und der Demokratischen Partei eine haarsträubende Komödie. Es geht um alte Rivalitäten und um Wahlarithmetik. Die antikommunistische Führung der Bauernpartei, die noch immer in der Vorkriegszeit lebt, hat es der Demokratischen Partei nie verziehen, daß viele ihrer Mitglieder aus der früheren Funktionärsschicht stammen und nach 1989 zunächst zum Establishment des kryptokommunistischen Iliescu-Regimes gehörten. Die Demokraten um den ehemaligen Ministerpräsidenten Petre Roman schwanken ihrerseits zwischen Sozialdemokratie und Neoliberalismus. Sie zollen nicht nur existierenden Stimmungen populistischen Tribut, sondern auch solchen, die gar nicht vorhanden sind.

Diese politische Komödie hat einen tragischen Ausgang für Rumänien. Rumänien will – darin stimmen nahezu alle Politiker des Landes überein – Nato- und EU-Mitglied werden. Ein Präzedenzfall zeigt, daß das Land kaum reif dafür ist: Die Bedingungen für die Europarat-Mitgliedschaft hat Rumänien mehr als vier Jahre nach seinem Beitritt noch immer nicht vollständig erfüllt.

Europa braucht Rumänien nicht in dem Maße, wie Rumänien Europa braucht. Darüber sind sich die meisten rumänischen Politiker nicht im klaren. Deshalb treten sie ihr „nationales Interesse“ mit Füßen. Keno Verseck

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