Kommentar
: Ein bißchen Freihandel gibt's nicht

■ EU-Kommissar van Miert hat noch einiges zu tun

Im Prinzip sind die deutschen Unternehmen für den freien Handel. Schließlich ziehen sie einen Großteil ihres Umsatzes aus dem Exportgeschäft. In möglichst alle Länder der Erde wollen sie daher Produkte ungehindert von staatlicher Einflußnahme verkaufen. Die Konzerne drängen den Staat, Grenzen zu öffnen, ansonsten soll er sie möglichst in Ruhe lassen.

Im Detail jedoch zeigt sich der wahre protektionistische Erfindungsreichtum deutscher Unternehmen. Mit Hartnäckigkeit verbreiten sie Gründe, weshalb ihre überteuerten Waren im Inland geschützt werden müßten. Der von der EU-Kommission zu 202 Millionen Mark Strafe verurteilte VW-Konzern bemüßigt den vermeintlichen Schutz der deutschen Autohändler. Weil die sich mit reimportierten Autos strafbar machen würden, hätte VW vorsorglich Händler im europäischen Ausland den Verkauf an die Kollegen untersagt. Auch könnten die Garantieleistungen bei Autos aus Italien oder Dänemark nicht eingehalten werden.

Die deutsche Pharmaindustrie ist auch nicht blöd. Sie klagte bereits 1996 vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Preisvorteile für pharmazeutische Produkte aus dem Ausland. Sie scheiterte mit ihrer Klage, also bedrängten die Pharmalobbyisten die Bundesregierung, die ihnen prompt mit einem Gesetz zur Seite sprang. Reimportierte Arzneimittel müssen demnach vollständig umgepackt werden, und auf jedem Verpackungsteil muß der Händlername aufgedruckt werden. Das ist nicht nur teuer, sondern liefert der Industrie zudem auch das Argument, die neuverpackten Pillen seien nun unhygienisch.

Aber glücklicherweise wacht in Brüssel Karel van Miert. Dem EU-Wettbewerbskommissar geht der deutsche Staatsprotektionismus gegen den Strich. Mehrfach schon ist er gegen die dubiose Subventionspraxis der Bundesregierung in Ostdeutschland vorgegangen. Die Autoindustrie und ihre Adepten in der Politik haben nun ebenfalls einen auf den Deckel bekommen. Bleibt zu wünschen, daß van Miert Zeit findet, sich die noch verschonten Branchen vorzuknöpfen und dem freien Handel zu seinem Recht zu verhelfen. Denn wenn die Unternehmen bislang die ihnen politisch bescherten Freizügigkeiten der EU zu nutzen wußten, dann müssen sie auch gezwungen werden, die finanziellen Unannehmlichkeiten dieser Freiheit zu tragen. Ulrike Fokken

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