„Aber ich hab' mich nie um Politik gekümmert“

1905 in Berlin geboren, arbeitete Ilse F. nach der Höheren Handelsschule zunächst als Sekretärin und Lohnbuchhalterin im Büro ihres Vaters, eines Prokuristen. Anfang der dreißiger Jahre übernahm sie, damals arbeitslos, zunächst eine Aushilfstätigkeit bei der NSDAP, 1933 eine feste Anstellung im Hamburger Rathaus. Noch im gleichen Jahr wechselte sie von dort in das Büro des Reichsstatthalters Karl Kaufmann, in dem sie bis 1945 blieb. Kaufmann vereinigte die fünf wichtigsten politischen Ämter Hamburgs auf sich und verfügte damit über eine selbst für damalige Verhältnisse außergewöhnliche regionale Machtfülle.

Obwohl kein Mitglied der NSDAP, wurde sie offenbar aufgrund ihrer Qualifikationen ausgewählt: Sie beherrschte Stenographie und Schreibmaschine, war verschwiegen, bereit sich in neue Aufgaben einzuarbeiten und viele Überstunden zu machen. Sie selbst beschreibt sich hinsichtlich ihrer beruflichen Laufbahn als initiativlos, als eine Frau, die nur von außen an sie herangetragene Angebote wahrgenommen hätte und auch dies nur nach anfänglichem Sträuben.

Ihren Chef schilderte Ilse F. im Interview mit einer gewissen Ehrfurcht und als „durchaus freundlich und nett“. Als Beispiel für seine „Menschlichkeit“ führte sie an, daß Kaufmann, der über Gnadengesuche von zum Tode Verurteilten zu entscheiden hatte, Mitgefühl mit den Scharfrichtern geäußert hatte. Auch der Hamburger Gestapo-Chef Bruno Streckenbach, den sie über ihre Arbeit kennenlernte, war ihr sympathisch.

Von Folterungen, die Streckenbach anordnete und an deren Vertuschung Kaufmann beteiligt war, will Ilse F. nichts gewußt haben, obwohl diese weit über die Stadtgrenzen hinaus Aufsehen erregten. Als sie später davon erfuhr, hätte sie das „für unmöglich gehalten. Aber ich hab' mich nie um Politik gekümmert.“

Von Juden, die „im Waggon weggebracht“ wurden, habe sie „bloß mal so was hinten rum“ erfahren, sich dann aber gesagt: „Das kann doch gar nicht wahr sein.“ Andere, in einer „günstigeren“ Stellung, hätten dagegen etwas über die Deportationen gewußt. Doch welche Stellung wäre „günstiger“ als die von Ilse F. gewesen, um an Informationen zu gelangen?

Sie arbeitete bereits im Zentrum der Macht in Hamburg. Ihr Chef Karl Kaufmann hatte sich selbst im Spätherbst 1941 bei Hitler dafür eingesetzt, daß die Hamburger Juden deportiert wurden. Vermutlich hatte Ilse F. sogar den Brief getippt, in dem er sich Göring gegenüber mit seiner Initiative brüstete.

Auch heute stellt die ehemalige Sekretärin ihre Tätigkeit noch als bedeutungslos dar, ohne irgendeinen Zusammenhang mit den Verbrechen, die im Büro des Reichsstatthalters geplant, im Schriftverkehr mit anderen Behörden koordiniert oder von ihm persönlich angeordnet wurden. Die Entnazifizierung bedeutete für sie gewissermaßen sogar eine Erleichterung: Sie hatte fünf Mark Strafe zu zahlen, wurde aber in der Liste der Schuldigen nicht genannt – und konnte daher problemlos in die Dienste des ersten Hamburger Nachkriegsbürgermeisters überwechseln. SH