■ Dublins beste Bräter: Fish and chips und ein Schuß vom selbstgemachten Malzessig. Schon seit drei Generationen liefern sie triefende Qualität Von Ralf Sotscheck
: Nur fingerdicke Fritten

Burdocks und Beshoff heißen die beiden legendären Chipper Irlands. Zwei Läden mit Tradition und Charme. Donnernde Portionen und fangfrische Ware ist ihr Erfolgsrezept. Der Essig wird nach uraltem Geheimrezept hergestellt, die Pommes frites sind selbstverständlich handgeschnitzt.

Fisch gilt in Irland schon lange nicht mehr als Strafe. Früher, als freitags Fleisch verboten war, büßte man für seine Sünden mit einer Fischmahlzeit, die entsprechend phantasielos zubereitet war. Seit der Lockerung des katholischen Dogmas haben die Iren die Fischküche neu entdeckt, Sea Food Restaurants nutzen endlich die Vorteile der Insellage.

Fish and chips war freilich schon immer die Ausnahme. Der frittierte Fisch im Teigmantel mit einer Tüte Pommes frites ist so etwas wie das Nationalgericht des Iren. „Wer glaubt, daß man bei der Zubereitung nichts falsch machen kann, irrt gewaltig“, sagt Christy, der seit 20 Jahren in Leo Burdock's Laden, dem berühmtesten Chipper Irlands, Fisch brät. „Der Teig darf nicht so dick sein, daß man den Fisch darin suchen muß, und die Pommes frites dürfen nicht so dünn sein, daß man gleich ein Dutzend in den Mund stopfen muß.“

Bei Burdock's sind die Chips „fingerdick und handgeschnitzt“, sagt Christy. Und der Fischmantel besteht nur aus Mehl und Wasser.

Geruch von heißem Öl und Fisch zieht einem in die Nase, wenn man Christ Church Place in Richtung Werburgh Street überquert. Leo Burdock's „Fish and chip“-Laden, gegründet 1913, liegt gleich neben dem vornehmen „Lord Edward“, Dublins erstem Fischrestaurant. Mehr als ein halbes Dutzend Kunden passen nicht in den winzigen Laden. Abends nach der Sperrstunde stehen die Esser manchmal bis zur Ecke Schlange. „Zu uns kommen Arbeitslose und Millionäre, Professoren und Penner“, sagt Christy. Der bekannteste Obdachlose Dublins war Johnny Fourty Coats, der seine ganze Habe stets am Körper trug. Er hatte selten Geld, wurde jedoch bei Burdock's nie mit leerem Magen weggeschickt.

Im Schaufenster steht ein behelmter Plastik-Wikinger im Burdock's-T-Shirt, der seine batteriebetriebenen Arme und Beine unermüdlich von Mittag bis Mitternacht bewegt, als ob er einen dicken Kabeljau aus dem Meer zieht. An der holzgetäfelten Wand neben dem Tresen hängt der Stammbaum der Wikingerkönige, die in Dublin vom 10. bis 12. Jahrhundert das Sagen hatten. „Die Wikinger landeten 988 keine 300 Meter von hier“, sagt Christy. Während er erzählt, zieht er die Fischfilets durch den flüssigen Teig und gibt sie vorsichtig in die Fritteuse. Leo Burdock, der Firmengründer, war der Urgroßvater des heutigen Besitzers. „Von Anfang an gab es hier nur Fish and chips“, sagt Christy. „Mit Schnickschnack wie Hamburgern oder Würstchen haben wir uns nie abgegeben. Wir verkaufen sechs Sorten Fisch: Rochen, Schellfisch, Wittling, Scholle, frischen und geräucherten Kabeljau.“

Sitzplätze gibt es nur bei schönem Wetter gegenüber auf der Parkbank. Ein Gourmet-Magazin gab folgenden Tip: Das Auto vor der Tür mit laufendem Motor stehen lassen und nach Erwerb der Ware im Eiltempo nach Hause, wo Meersalz, Essig und Ketchup aus Bio-Tomaten beigegeben werden.

Keinesfalls sei ein Teller zu verwenden, hieß es weiter, man esse nur vom Zeitungspapier. Das ist inzwischen verboten. „Die EU schreibt Wachspapier vor“, sagt Christy leicht amüsiert. „Dabei haben wir mehr als hundert Jahre lang Fish and chips in Zeitungen eingewickelt, ohne daß die Druckerschwärze jemand vergiftet hätte.“

Die schnelle Mahlzeit kam aus Nordengland über die Irische See: Die Frauen, die in den Spinnereien arbeiteten, hatten nicht viel Zeit zum Essen. Sie versorgten sich mit Fisch, der von Wanderverkäufern in großen Töpfen über Kohlefeuern gebraten wurde.

Warum aber ist gerade Burdock's der beliebteste „Chipper“ Dublins? An dünnem Teig und dicken Pommes allein kann es nicht liegen.

„Wir holen jeden Morgen frischen Fisch vom Markt“, sagt Christy. „Unsere Portionen sind überaus großzügig, niemand soll danach noch Hunger haben. Und dann ist da unser Spezial-Malzessig.“ Auf dem gelben Resopaltisch neben dem Tresen stehen Limonadenflaschen voller Essig, den die Kunden über ihre Mahlzeit schütten. „Fisch and chips ohne Essig ist wie Austern ohne Zitrone“, sagt Christy. Manche bringen leere Flaschen mit und lassen sich einen Liter abfüllen.

Der Essig wird seit 84 Jahren nach Geheimrezept hergestellt. Am besten geht frischer Kabeljau. „Den bestellt auch Naomi Campbell, wenn sie in Dublin ist“, sagt Christy möglichst beiläufig. Das Fotomodell führt die Liste der prominenten Kundschaft an, die in „Burdock's Hall of Fame“ über dem gelben Resopaltisch verzeichnet ist: Mick Jagger und U 2, Liam Neeson, Sinead O'Connor, Rod Stewart, Tom Cruise, Bruce Springsteen und selbst Edith Piaf haben sich hier die Hände fettig gemacht.

Auch Ivan Beshoff zählte zu den Kunden, bevor er seinen eigenen Laden aufmachte. Heute zählt er neben Burdocks zur „Fish and chip“-Elite. Beshoff war 1912 aus Rußland gekommen. Eigentlich wollte er nach Amerika auswandern, weil er einen Bruder in Chicago hatte, der für Al Capone arbeitete. Beshoff verpaßte jedoch das Schiff und blieb auf der Insel.

Zuerst handelte er mit russischen Ölprodukten, dann begann er Fisch zu braten. Beshoff stand noch mit 83 hinter dem Tresen. Das Geschäft in Clontarf, im Norden Dublins, führt Enkel John Beshoff, zwei Filialen sind inzwischen verpachtet.

„Großvater konnte unvorstellbare Mengen an Alkohol vertragen“, sagt John voller Bewunderung. „Er kippte sich schon zum Frühstück einen Whiskey in den Tee. Zum 100. Geburtstag kamen die Verwandten aus Amerika. Sie waren entsetzt, als Großvater am Nachmittag die zweite Flasche öffnete. In seinen Läden wurde jedoch nie Alkohol ausgeschenkt. „Das liegt an den strengen Auflagen für Alkohollizenzen“, sagt John Beshoff. „Wahrscheinlich war es für das Geschäft auch besser so.“ Das lief glänzend, dafür sorgte die täglich fangfrische Ware und die gekonnte Zubereitung. Die Auswahl war klein, aber die Qualität stimmte.

Trotz des Alkoholkonsums war der Alte erstaunlich fit. Mit 90 strich er sein Haus, fiel von der Leiter und bekam ein Plastikhüftgelenk. Das hinderte ihn aber nicht am sonntäglichen Spaziergang zum geliebten Dubliner Hafen. Der alte Beshoff war auf dem Panzerkreuzer Potemkin zur See gefahren und hatte an der berühmten Meuterei teilgenommen. 1905 brachte die Besatzung die Schiffsoffiziere um. 16 Meuterer, die nach Rußland zurückgekehrt waren, wurden hingerichtet, Beshoff blieb lieber in Irland. Nur in den 20er Jahren ging er für einige Tage nach Rußland, als er seinen Freund Lenin besuchte, mit dem er in London drei Monate eine Wohnung geteilt hatte. Beshoff starb 1988 mit 101 Jahren. Sein Vater war 106 geworden, sein Großvater hatte sich im Alter von 112 Jahren das Genick gebrochen, als er vom Pferd fiel.s