Im Zentrum der fahlen Eisschmelze

■ Das S.O.A.P. Dance Theatre beendet schneidend elegant die independancedays auf Kampnagel

Mit seiner sechsten und damit letzten Choreographie für das Frankfurter S.O.A.P. Dance Theatre geht der portugiesische Choreograph Rui Horta noch einmal hinter den Anfang zurück. Khôra heißt das Ensemblestück, das sich auf einen Begriff Platons bezieht: Khôra ist der Raum, aus dem alles hervorgeht, das Prinzip, das Gestalt gibt. Selbst amorph bleibend, legt es das Andere fest.

Raum als Prinzip der Bestimmung – Fremdbestimmung wie Selbstbestimmung – ist durchgehendes Thema der neunzigminütigen Produktion. Die Bühne, von Horta selbst gestaltet, bleibt dabei schlicht: eine leere, schwarze Fläche, seitlich begrenzt und nach hinten in der Höhe abgeschlossen von einer Reihe Overheadprojektoren. Auf ihnen befinden sich Plexiglasgefäße mit Eiswürfeln, durch die das Licht, je nach Zustand ihrer Auflösung, in progressiver Änderung gebrochen wird.

Im Zentrum der fahlen Eisschmelze jedoch werden neue Räume geboren. Fast architektonisch baut Rui Horta mit dem siebenköpfigen Ensemble gerade Linien, zerbricht sie, strukturiert die Formation zu neuen, stets labilen Ordnungen. Da helfen auch die fast militärischen Befehle nicht, die die Tänzer gegen Ende austoßen, um Reihen zu schließen; einer bricht immer aus, verweigert die Synchronität und erzwingt so den Umbau des nicht mehr ausbalancierten Gebäudes.

Koen Brandt, der in Antwerpen ein Post-Production-Studio betreibt, hat eine beeindruckende Klangcollage komponiert, deren hämmernde Steeldrum gerade am Anfang die unterschwellige Agression des Tanzes großartig verstärkt. Denn auf dieser Bühne herrscht Kampf: Sieben Menschen geben einander zwanghaft Richtlinien vor, obwohl sie offensichtlich selbst keine Ahnung haben, wo sie hingehören. Mit Klebeband wird der andere brutal in Schranken verwiesen, mit demselben Utensil versucht, einen eigenen Schutzraum abzuteilen. Die Tänzer, die im Gegensatz zu früheren S.O.A.P.-Produktionen nur vereinzelt Sprache einsetzen, skizzieren über wenige Soli verschiedene Typen des Modells Mensch, das nach außen gerne „Alles im Giff“demonstriert, während eine innere Haltlosigkeit es längst unter die Karbonschicht fallen ließ.

Wie immer bestechen Hortas Choreographie durch Präzision und die Tänzer durch schneidende Eleganz. Vor bisweilen nerviger Stilisierung und streckenweise eiswürfelartiger Langatmigkeit sind sie dadurch leider nicht geschützt .

Christiane Kühl

noch heute, 20.30 Uhr, Kampnagel (k2); 16.30 Uhr: Lecture Demonstration von Rui Horta