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Village VoiceSieben Tage im Januar

■ Knorkator geben Berlin seinen schlechten Namen zurück. Danke! Danke! Danke!

Eine Supersache ist das. Da verbringt man vier Jahre seines Lebens damit, Abend für Abend die lokale Musikszene zu sondieren, und stellt dann nach geraumer Zeit fest, daß da inzwischen einiges mehr abzuholen ist als die durchschnittliche „Joe am Görli raucht auf dem Wasser und feuert in die Luft“-Band, die seit vier Generationen im Café Swing spielt. Erfreut berichtet man in München, Köln, Hamburg und vor allem Nürnberg davon – und dann? Kommen Knorkator mit „The Schlechtst of Knorkator“ aus den Tiefen des Raumes und vernichten innerhalb einer halben Stunde das Ergebnis der mühseligen Plackerei. Dabei hatte alles so nett angefangen, an einem Mittwoch: Rope, die Hausband des Kreuzberger Privat-Clubs, begeisterten im Podewil, und einen Tag später räumten die mit Basis Mitte operierenden Elektronauten im Vorprogramm von Fluke kräftig ab. Doch der Freitag abend wurde zum vorläufigen Absturz des Jahres: In der seit Tagen ausverkauften Kulturbrauerei ereignete sich ziemlich genau das, was man eigentlich nie wieder in der Stadt von Volksbühne, Tacheles und „Hastemalnenirokesen?“ erleben wollte: Knorkator. Alleine das opulente Bühnenbild war im Sinne castorfschen Kartoffelsalats und schlingensiefschen Ausagierens mit einem Klo verziert, außerdem mit einem riesengroßen, natürlich selbstgezimmerten Schlagwerkgestänge ausgestattet. Sehn Se, wie es auch in „Pension Schöller/Die Schlacht“ so schön zu hören war, det is Berlin!

Und erst einmal die Akteure: Alf Ator (Keybords), Buzz Dee (Gitarre), Stumpen (Gesang) und ein namenloser Schlagwerker als „bekiffter Hippie mit Schlagseite“ veranstalteten zu der schlechtesten Musik, die das Kesselhaus seit langem gehört hat, ein Spektakel, das sich gewaschen hatte. Das Knorkator- Konzept, in dürren Worten: Nur mit einer zu großen Feinrippunterhose bekleidet Kasatschock zu Speed-Metal tanzen, sich in Plastikfolie einwickeln lassen, dabei die Testikel schaukeln und böse Lieder singen, am Ende zu einem Song, der „Kurz und klein“ heißt, alles und natürlich insbesondere das selbstgebaute Schlagzeug-Ensemble kurz und klein hauen. Darüber hinaus liturgische Masturbationsarien („ejacul sperminium del hodae“ etc.) kurz vor Kastratenlage, die, um es mit Sonic Youth zu sagen, auf einen schweren Fall von „Catholic Block“ schließen lassen.

Ob da eine Meßdienerjugend in Münster dahintersteht oder bloß Apothekersöhne aufs Exkrement klopfen, möchte man lieber nicht so genau wissen. Einziger Pluspunkt bleibt bei diesem tiefen Griff in die sanitären Anlagen, daß zwischen schlecht imitierten Punk- und Hardrockvorlagen immer wieder der Rammsteiner Brachialsound gnadenlos auf den tätowierten Unterarm genommen wird. Ansonsten gilt ausnahmsweise, bei aller Antipathie gegen bestimmte Teile einer gewissen Jugendbewegung: Ist es denn wirklich so schwierig zu kapieren? Es gibt eine Herzlichkeit jenseits von Jonglieren! Daß in der Folge nicht das gesamte Wochenende im Orkus landete, ist nur dem grandiosen Gig von Aerial M am Sonntag zu verdanken, und rechnet man das angenehme Hotel und das üppige Buffet bei Robert Halsfords Record-Release-Party in der schnuckeligen Hamburger Prinzenbar mit, stimmt der Wochendurchschnitt wieder – obwohl unser fellow Kreuzberger Nikki Sudden in der Markthalle nicht gerade überzeugte. Aber das ist eigentlich eine andere Geschichte. Gunnar Lützow

Knorkator: The Schlechtst of Knorkator (Vielklang/EFA)

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