Canberra, künstliche Hauptstadt im Busch

■ Vor 85 Jahren aus dem Busch gestampft, zeigt die Haupstadt das wahre Australien: Nicht die alleinstehende Farm im Outback, sondern der kleine Bungalow in der bevölkerten Vorstadt

Ein Jogger läuft einsam am See entlang. Unter seinen weißen Turnschuhen knirschen die roten Kieselsteine. Vor ihm liegt Rasen: grün, gut gedüngt und makellos. Im Hintergrund ragt weiß und steif moderne Architektur auf. Kühl und steril steht die Stadt zwischen Hügeln und Weideland, das ehemals von Schafzüchtern genutzt wurde. Erst einhundert Jahren ist es her, daß in der Gegend vor allem rund 225.000 Schafe lebten.

Heute leben in Canberra rund 300.000 Menschen. Die Hauptstadt Australiens ist vielen als solche gar nicht bekannt. Sie ist das Produkt eines lang anhaltenden Streites zwischen den beiden Metropolen Sydney und Melbourne. Beide wollten Hauptstadt werden. Anfang des Jahrhunderts einigte man sich auf einen Kompromiß, auf die Schaffung einer neuen Staates, des Australian National Capital mit der Hauptstadt Canberra, die erst noch gebaut werden mußte.

Ein Blick auf den Stadtplan der australischen Hauptstadt zeigt, daß bei der Planung ein Mathematiker am Werk war: Ein großes Dreieck ist Dreh- und Angelpunkt des Zentrums, Kreise und Bögen bestimmen das Stadtbild. Im Zentrum liegt der aufgestaute See Burley Griffin, benannt nach dem Architekten, der Anfang des Jahrhunderts die Stadt entwarf.

Ein kleines Cottage am Ufer des Sees ist die letzte Spur aus vergangener Zeit. Nur dieses eine Haus ist älter als das Jahrhundert. Viele Gebäude wurden erst in den letzten dreißig Jahren errichtet. Es ist eine Stadt der Künstlichkeit, der kurzen Geschichte. Keine ehemalige Sträflingskolonie, kein Goldrausch, kein Outback, einfach eine Stadt, von Politikern gemacht.

Im Zentrum türmen sich weiße Bürosilos. Büroangestellte prägen das Stadtbild, an jeder Ecke der Innenstadt steht ein Mensch mit Anzug und Handy. Die Fußgängerzone in der Innenstadt ist zubetoniert und erinnert an deutsche Fußgängerzonen, wie sie in den siebziger Jahren in Kleinstädten entstanden. Kneipen und Cafés im mediterranen oder asiatischen Stil, modernes Shopping und Gourmetküche lassen etwas urbanes Leben aufkommen. In schnieken Parks trifft man auf Schüler in Schuluniform. Vieles wirkt britisch wie aus dem Englischbuch: das Schlangestehen vor den Bussen, die unverbindliche Freundlichkeit, die Hautfarbe der Menschen. Alles ist wohlsituiert, keine Bettler, selten ein Aboriginee.

Etwas östlich vom City Hill ragt imposant das Kriegsmuseum empor. Eine breite Allee, rechts und links von Kriegsdenkmälern gesäumt, führt scheinbar direkt zum Parlamentsgebäude. Das Parlament scheint direkt vis à vis zu liegen. Doch das Bild trügt. Dazwischen liegt in einer Senke der See.

Die Legitimation der Stadt nimmt ihre Position an der gegenüberliegenden Seite des Wassers ein: ein Gebäudekomplex der achtziger Jahre, in einen kleinen Hügel hinein gebaut, auf dem giftgrün der englische Rasen sprießt.

Hier gibt es all das, was eine Hauptstadt ausmacht: Regierungsgebäude, Botschaften, Nationalmuseum, Nationalgalerie.

Das Botschaftsviertel nutzt die Möglichkeiten einer neugebackenen Stadt: die Gebäude sind zum Teil im einheimischen Stil der Gastländer gebaut. Zwischen sauber angelegten Straßen findet man ein Geisterhaus aus Papua Neuguinea, einen chinesischen Tempel und ein amerikanisches Haus im Georgian Stil. Eine Botschaft mit besonderem Charme: die deutsche. Kein Schwarzwaldhaus, sondern ein innen wie außen mausgrauer, kantiger, verstaubter Bau aus den fünfziger Jahren.

Canberra ist keine Stadt, in der man auf Touristen trifft, denn dazu ist sie zu langweilig. Sie steht im starken Kontrast zu der Wildheit, die nicht nur ausländische Touristen in Australien suchen. Es ist eine Beamtenstadt – für australische Beamte, die gerne vom Busch schwärmen, Sport bis zum Exzeß treiben und Sicherheit und Sauberkeit über alles genießen.

Gelebt wird in den Suburbs. Das Leben in der Innenstadt ist auf Funktionen beschränkt. Auch die Vorstädte sind sauber geplant, in Zirkeln und mit Einkaufsmall in jedem Vorstadtzentrum. Breite, vielbefahrene und schnellbefahrene Straßen verbinden Vorstädte und Zentrum.

Das Leben in Suburbia ist nicht nur eine Laune der neugegründeten Stadt, sondern zutiefst australisch. Drei von vier Australiern leben in Eigenheimen, die so typisch sind wie die in Canberra: ein kleiner Bungalow in einem Garten, oft mit Swimmingpool. Das grüne Gras ist Auslegware. Zum Arbeiten fährt man mit dem Auto in die City.

Canberra verrät mehr von der australischen Seele als mancher Trip ins Outback: Es ist vor allem weiße Kultur, die in Australien stattfindet, und die ist noch immer stark an britische Traditionen gebunden. Angestammte Kultur findet sich allenfalls als Rechtfertigung, zum Beispiel in der Geschichte über den Namen der Stadt. Er soll von kamberra abstammen, einem Aboriginal-Begriff, der „Treffpunkt“ oder – typisch australischer Witz – „Frauenbrust“ heißen soll.

Allen Mythen von Crocodile Dundee zum Trotz ist australisches Leben städtisch. Über achtzig Prozent der Australier leben in Orten mit mehr als zweitausend Einwohnern. Kunst und Kultur werden relativ kleingeschrieben. Dafür spielen Sport, Amüsement und Barbecue eine große Rolle. Das Leben ist direkt und unkompliziert, kumpelhaft und sinnlich. Doch das sanfte Leben in Canberra bröckelt. Seit Antritt der Konservativen vor zwei Jahren werden immer mehr Staatsangestellte entlassen. Viele verlassen Canberra. Sie ziehen nach Sydney oder Melbourne – wo das Leben ein bißchen mehr tobt. Barbara Tauber